In die Medienwelt begleiten
Frau und Herr M. bitten um ein Gespräch in der Beratungsstelle. Sie haben zwei Kinder. Paul ist zwei, Marie fünf Jahre alt. Beide gehen geschickt mit dem Smartphone und Tablet um. Sie haben Spaß dabei, sind neu- und wissbegierig.
Die Eltern nehmen wahr, dass es gute altersgerechte Angebote gibt, die die Kinder fördern, ihnen helfen, sich Neues anzueignen. Sie selbst erfahren, dass die neuen Medien eine immer größere Rolle im beruflichen und privaten Alltag spielen. Von daher sind sie überzeugt, dass ihre Kinder frühzeitig lernen müssen, damit umzugehen, um sich gut in ihrer zukünftigen Lebenssituation zurechtzufinden.
Andererseits sind sie verunsichert, weil sie immer wieder hören und lesen, dass die Nutzung von Smartphone oder Tablet sich negativ auf die kindliche Entwicklung auswirkt.
Es werden gesundheitliche Beeinträchtigungen angeführt, wie beispielsweise nachlassendes Sehvermögen und Übergewicht infolge von Bewegungsmangel. Daneben wird auf psychische Risiken hingewiesen wie eingeschränkte soziale Fähigkeiten oder die Gefahr, süchtig zu werden.
Im Gespräch mit den Eltern ist es der Beraterin zunächst wichtig, ihnen Informationen über die kindliche Entwicklung in den ersten Lebensjahren zu geben, um aufzuzeigen, welche Unterstützung Kinder in dieser Lebensphase brauchen. Ausgehend hiervon will sie mit den Eltern überlegen, wie ein angemessener Umgang mit dem Smartphone oder Tablet aussehen könnte.
Lernen zunächst durch unmittelbare Erfahrungen
Kinder lernen zunächst durch unmittelbare Erfahrungen, die sie im Umgang mit dem eigenen Körper und der Umgebung machen. Mit Hilfe ihrer Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken) gewinnen die Säuglinge erste Erkenntnisse über ihren Körper und die Umwelt. Sie koordinieren zunehmend ihre Handlungen, lernen ihren Körper und Gegenstände der Umgebung zu kontrollieren. Kinder nähern sich auf diesem Wege dem Smartphone oder Tablet. Sie greifen danach, stecken es in den Mund, versuchen, die Wischbewegungen der Erwachsenen nachzumachen.
Durch die frühe „begreifende Erfahrung“ des eigenen Körpers und der Umgebung entwickeln sich, wenn die Gegenstände und Körperteile benannt werden, die Begriffsbildung und die Sprache.
Im zweiten Lebensjahr erkennen Kinder, dass das Bild auf dem Tablet oder Smartphone ein Gegenstand ist, der etwas zeigt. Sie sind jetzt in der Lage, einfache Bildgeschichten nachzuvollziehen. Dabei nehmen sie hauptsächlich das wahr, was ihnen aus ihrem Alltag vertraut und bekannt vorkommt. Die Aufnahmefähigkeit ist noch begrenzt. Erst langsam gelingt es ihnen, einzelne Szenen miteinander zu verbinden und sie zu einer Handlung zu verknüpfen. Parallel zur Entwicklung von Sprache und Phantasie lernen sie, zielgerichteter Bewegungsabläufe wie Wisch- und Touchgesten zu steuern.
Symbole medialer Inhalte entschlüsseln
Zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr wächst die Fähigkeit der Kinder, Symbole medialer Inhalte zu entschlüsseln. Dabei sind eine einfache Erzählstruktur und der Bezug zu ihrer Lebenswelt nach wie vor wichtig. Ihnen gelingt es jetzt immer besser, das Erleben der dargestellten Personen und das eigene Erleben miteinander in Beziehung zu setzen. Sie identifizieren sich mit wichtigen Darstellern, vollziehen deren Gefühle nach.
Während sie zunächst das Geschehen nach eigenen Wunsch- und Zielvorstellungen deuten, also vom eigenen Erleben ausgehen, gelingt es ihnen allmählich, andere Aspekte miteinzubeziehen. Sie sind zunehmend in der Lage, die Gefühle, Wünsche und Wahrnehmungen anderer Menschen zu erkennen. Sie lernen, sich in sie hineinzuversetzen.
Auf dem Hintergrund dieses Entwicklungsprozesses in den ersten Lebensjahren macht die Beraterin Frau und Herrn M. deutlich, dass es wichtig ist, ihre Kinder behutsam an die neuen Medien heranzuführen und sie beim Umgang damit zu begleiten.
Sie überlegt mit ihnen, welche Angebote sie gemeinsam mit Paul und Marie auswählen können, die deren Interesse und ihrem Alter entsprechen. Die zeitliche Begrenzung wollen die Eltern den beiden deutlich machen, indem sie ihnen nur ein kurzes Spiel oder nur eine Geschichte auf dem Handy oder Smartphone erlauben, oder eine Eieruhr aufstellen. Sie wissen, dass sie auf die Einhaltung der Absprachen achten müssen.
Bezogen auf Paul fallen den Eltern spontan kurze Bildergeschichten ein, beispielsweise Gutenachtgeschichten oder einfache Zuordnungsspiele, die der Sprachförderung und Umwelterfahrung dienen. Mit Marie werden sie Geschichten aussuchen, für die sie sich momentan begeistert, beispielsweise die von Patterson und Findus oder aber von dem Raben Socke. Sie kennen auch Lern-Apps und Apps mit interaktiven Spielen und Geschichten, für die sich ihre Tochter begeistert. Da sie gerne bastelt, verwenden sie fertige Vorlagen aus dem Internet oder gestalten diese erst und drucken sie aus.
Auf Anzeichen einer Überforderung achten
Wichtig erscheint der Beraterin in diesem Zusammenhang, dass Frau und Herr M. bei der Auswahl der Angebote im Blick haben, wie die Kinder hierauf reagieren. Wenn Paul oder Marie sich beispielsweise die Ohren zuhalten, die Augen schließen oder schreckhafte Bewegungen machen, können dies Anzeichen einer Überforderung sein. Die Belastbarkeit der Beiden hängt nicht nur vom Alter ab. Sie hängt auch von der persönlichen Reife, der unterschiedlichen Empfindsamkeit und familiären Umständen ab, beispielsweise der Erkrankung eines nahen Angehörigen, der Geburt eines Geschwisterkindes, finanziellen Belastungen.
Die Eltern sollten, wenn sie Anzeichen einer Überforderung bei ihren Kindern wahrnehmen, mit ihnen über das Erlebte sprechen. Sie können Paul und Marie ermutigen, durch Malen oder Spielen das Erlebte zu verarbeiten oder aber sich körperlich abzureagieren. Kinder brauchen manchmal auch Hilfen, um das, was sie auf dem Bildschirm wahrnehmen, in Verbindung zu bringen mit ihrer Lebenssituation.
Alternativen zur digitalen Welt sind wichtig
Den Eltern wird im Gespräch bewusst, dass der Gebrauch von Tablet oder Smartphone durch die vielfältigen Angebote für ihre Kinder bereichernd sein kann und dass es hierdurch auch Möglichkeiten gibt, gemeinsam mit ihnen Spaß zu haben.
Sie erkennen, dass es dabei wichtig ist, den Kindern von Anfang an Alternativen anzubieten, die genauso spannend und schön sein können. Der gemeinsame Spaziergang, Besuche auf dem Spielplatz, bei Freunden und Verwandten, das Vorlesen von Kinderbüchern sollten nach wie vor im Familienleben eine bedeutende Rolle spielen.
Frau und Herr M. beabsichtigen, ihren eigenen Umgang mit Tablet und Smartphone verstärkt in den Blick zu nehmen, um bewusst Räume im Zusammenleben zu gestalten, beispielsweise beim Essen, beim Spielen mit den Kindern, in denen die neuen Medien auch für sie tabu sind.
Kleinkinder und Kindergartenkinder brauchen Eltern, die sie behutsam an den Umgang mit den neuen Medien heranführen und sie dabei begleiten. Die Nutzung von Tablet oder Smartphone sollte für Kinder ein beschränktes Angebot neben den herkömmlichen wie Spiele, Bücher, Ausflüge oder Sport sein, ihre Lebenswirklichkeit zu erfahren.
Weitere Informationen
Weitere Informationen zu der Thematik erhalten Eltern im Internet unter www.schau-hin.info, www.kindergesundheit-info.de, www.familienhandbuch.de.
Bücher zu der Thematik:
Manfred Spitzer, Digitale Demenz, 368 Seiten, ISBN 978-3-426-30056-5, Verlag Droemer/Knaur 2014, Preis: 12,99 Euro.
Norbert Neuß, Kinder & Medien, 168 Seiten, ISBN 978-3780049018, Kallmeyer-Verlag 2012, Preis: 24,95 Euro.