Sechs Taufen innerhalb einer halben Stunde: So ähnlich muss es auch damals vor rund 2000 Jahren gewesen sein, als der biblische Johannes die Menschen im Jordan untertauchte, um sie neu mit Gott zu verbinden – Jesus inklusive. Corinna Zisselsberger hatte jedenfalls genau diese Assoziation, als ihr gemeinsam mit dem Pfarrteam vor ein paar Monaten die Sache mit der Popup-Taufe einfiel. „Für mich ist das eine Rückkehr zu unseren Wurzeln“, sagt die 37-jährige Pfarrerin. „Die Apostel haben Menschen getauft, die dies aus einem Impuls wollten. Sie haben sie getauft, ohne viel von ihnen zu wissen oder umgekehrt viel Wissen von ihnen zu verlangen. Für mich zeigt das ein hohes Gottvertrauen.“
Seit Januar bietet die evangelische Gemeinde Sankt Marien-Friedrichswerder in Berlin-Mitte an jedem letzten Mittwoch im Monat eine solche Taufe an – spontan und ohne Voraussetzung. Um halb zwölf zur Marienkirche am Alexanderplatz gehen, um zwölf Uhr im mittäglichen Gottesdienst getauft werden – und schon gehört man offiziell zu den Christen.
An diesem Mittag ist die Kirche beinahe leer. Um den Taufbrunnen vor dem Altar haben sich rund 20 Menschen im Kreis versammelt, darunter die sechs Taufkandidaten – vier Frauen und zwei Männer. Es wird gesungen, gebetet – und dann getauft.
Exponentielles Wachstum bei der Taufe
Im Januar kam noch keiner, im Februar waren es schon drei – und Ende März dann sechs Personen. Am kommenden Mittwoch ist es wieder so weit. „Exponentielles Wachstum – wir können uns nicht beschweren“, sagt Zisselsberger mit einem leichten Lächeln. „Wenn das so weiter geht, sollten wir im Sommer zwei Termine pro Monat anbieten.“
Es ist eine ungewöhnliche Aktion: Bei den Katholiken etwa ist es bei einer Erwachsenentaufe üblich, dass vorbereitende Glaubensgespräche über mehrere Monate erfolgen, manchmal dauert es auch länger. Zudem werden am Tauftag selbst noch die beiden Sakramente Firmung und Erstkommunion fällig – das katholische Rundumsorglospaket ist umfangreich.
Die Sorge, dass die Menschen, die spontan kommen, nicht ganz bei Trost sind oder die Taufe leichtfertig wollen, ist nach den bisherigen Erfahrungen völlig unbegründet
Corinna Zisselsberger
Der katholische Theologe Matthias Sellmann verweist auf die Notfalltaufe, die auch eine Art „Speed-Taufe“ sei: Im Notfall, etwa nach einem Unfall, ist es jeder und jedem Getauften erlaubt, dieses Sakrament zu spenden. Darüber hinaus sei er durchaus ein „Fan von pragmatischen Lösungen“, wenn es etwa darum gehe, dass jemand Pate oder Patin werden wolle – und deshalb rasch selbst Kirchenmitglied werden möchte.
Jenseits solcher Situationen fragt Sellmann sich aber: „Wozu die Eile?“ Wer nicht getauft sei, müsse aus theologischer Sicht keine Nachteile vor Gott befürchten. Eine längere Vorbereitung biete zudem die Chance für Gespräche, Reflexion, das Beobachten und „Einüben“ bestimmter Rituale und auch für eine geistliche Vorbereitung, etwa durch ein Retreat oder eine bewusste Fastenzeit. „Die Entscheidung zur Taufe ist ja ein existenzieller Schritt; das will gut überlegt sein“, gibt der Pastoraltheologe zu bedenken.
Nur wenige protestantische Gemeinden bieten bisher eine „Pop-up-Taufe“ an. Dabei sind die Kirchen gefordert, sich neue Wege der Glaubensvermittlung zu überlegen: Die Zahl der Austritte steigt in beiden Kirchen stetig an. Auch Sellmann hat großen Respekt vor diesem Experiment der evangelischen Kirche.
„Die Sorge, dass die Menschen, die spontan kommen, nicht ganz bei Trost sind oder die Taufe leichtfertig wollen, ist nach den bisherigen Erfahrungen völlig unbegründet“, erzählt Zisselsberger, eine Frau voller Tatkraft. „Sie haben sich ausführlich, manchmal jahrelang, damit beschäftigt.“ Wenige seien religiös sozialisiert, die meisten eher mittleren Alters – und weiblich.
„Ich habe lange danach gesucht“
So wie Carola Zeuschner, die sich seit Jahren mit dem Gedanken trug – und sich im Februar am Aschermittwoch dann von Pfarrerin Zisselsberger taufen ließ. „Für mich war es die reinste Erfüllung“, sagt sie im Rückblick. „Eine Taufe ohne Tamtam. Ich habe lange danach gesucht.“
Zeuschner, 53 Jahre alt, ist in der DDR groß geworden und nicht religiös aufgewachsen. Vor etwa 30 Jahren trat sie einer Heirat wegen zum Islam über. „Aber es war nicht das Richtige für mich“, so Zeuschner. Sie habe sich dann mit dem Christentum beschäftigt, immer wieder Kirchen aufgesucht. „Ich habe festgestellt, dass ich da zur Ruhe kommen kann“, erzählt sie. Auch ihr muslimischer Mann habe Verständnis für diesen Schritt gezeigt.
Die „Popup-Taufe“ sei ein zusätzliches Angebot, das zu der Citykirche passe, sagt Theologin Zisselsberger. „Wir als Kirche müssen uns schon überlegen, wie hoch unsere bildungsbürgerliche Schwelle eigentlich ist und wie voraussetzungsreich wir Gottesdienst feiern.“ Wenn die Hürden zu hoch seien, bleibe Kirche vielen Menschen fremd.
Insbesondere von der katholischen Kirche wünscht sich die frisch getaufte Carola Zeuschner mehr Offenheit: „Sie sollte moderner werden und zugänglicher für alle Menschen sein. Gerade hier in Berlin können wir das gut gebrauchen. Hier gibt es nicht so viele Menschen, die mit Religion aufgewachsen sind.“