Psychologie :Zukunftswährung Empathie

Dass Kinder durch Nachahmung lernen, ist bekannt. Doch auch Erwachsene lernen durch Beobachtung, mehr oder weniger empathisch, also mitfühlend zu sein: Das zeigten Studien der Würzburger Neurowissenschaftlerin Grit Hein. Allerdings könne man Empathie auch verlernen. Wer also etwa ein Arbeitsumfeld gestalte, müsse sich darüber im Klaren sein, wie dieses langfristig die Mitarbeitenden forme, sagt Hein.
Wohlfühlen wie im Privatclub
Viele Unternehmen lehnten es inzwischen allerdings eher wieder ab, über Empathie zu sprechen, beobachtet der Psychiater Pablo Hagemeyer. Manche verfolgten vielmehr das Ziel, dass die Mitarbeitenden „sich wohlfühlen wie in einem Privatclub“. Dabei zeige sich in Folge der Corona-Pandemie, dass Menschen wieder lernen müssten, mit einer gewissen Sorglosigkeit aufeinander zuzugehen – und Zeit miteinander zu verbringen, denn das sei die wichtigste Voraussetzung für Empathie.
Empathie meint die Fähigkeit und Bereitschaft, die Gefühle und Gedanken einer anderen Person zu erkennen und nachzuvollziehen. Dies könne emotions- oder vernunftbegabt geschehen, erklärt Hagemeyer – Sympathie oder Mitgefühl sei etwas völlig anderes. „Wir müssen keine Sympathie für Menschen mit einer anderen Meinung haben. Aber wir können Empathie haben, uns bemühen, zu verstehen, wie es ihnen geht.“
Die Bereitschaft dazu verliere sich, sagt der Psychotherapeut, der im oberbayerischen Weilheim praktiziert. Wer Zeit mit jemand anderem verbringe, interessiere sich nach einer gewissen Weile automatisch dafür, was das Gegenüber denke, was etwa Gesichtsausdruck oder Körperhaltung aussagten. „Diese Fähigkeit verlieren wir, wenn wir uns überwiegend auf Social Media begegnen, dem kleinen Narzissmus-Spiegel für jedermann.“
Ebenso verlerne die Gesellschaft, missbräuchlichen Einsatz von Empathie zu erkennen. So träten Psychopathen zumeist sehr charmant auf und spielten Empathie vor. Hagemeyer sieht zudem eine falsche Erziehung durch die Werbepsychologie. „Wenn heute falsche Propheten mit einfachen Botschaften kommen – ,ich liebe dich, wie du bist‘, ,du bist ein Wunder‘, ‚folge mir für den richtigen Weg‘ –, dann müssen wir uns Skepsis bewahren.“
Auch wenn der Bestseller-Autor Empathie als „Währung der Zukunft“ bezeichnet, sieht er durchaus Fallstricke. Er verweist auf das relativ neue Konzept des Echoismus – das Gegenstück zum Narzissmus. In der Mythologie kann die Nymphe Echo, hoffnungslos in Narziss verliebt, durch einen Fluch nur die letzten Worte wiederholen, die jemand an sie gerichtet hat.
Wenn man allem gerecht werden will
Moderne Echoisten, so erklärt es Hagemeyer, kümmern sich nicht um die eigenen Bedürfnisse, wissen womöglich gar nicht darum – sondern orientieren sich an anderen, versuchen, alles recht zu machen, übernehmen Positionen und mitunter sogar die Gestik ihres Gegenübers. Diese Menschen sind allzu empathisch, und dafür spielen aus Sicht des Experten viele Faktoren eine Rolle. Zum Beispiel: helfen zu wollen, der Anspruch, die Person im Hintergrund zu sein, die anderen den Rücken freihält. „Doch das funktioniert nur, wenn es ausgeglichen ist.“
Grit Hein sieht Respekt ebenfalls als Grundlage für Empathie. „Man kann jemanden respektieren, ohne Empathie mit dieser Person zu haben, aber es ist schwer, Empathie zu entwickeln, wenn die andere Person nicht als Mensch respektiert oder Respektlosigkeit in der Gesellschaft akzeptiert wird“, sagt die Forscherin.
Um eine Haltung der Empathie zu entwickeln, rät der Münchner Psychotherapeut Sina Haghiri zur Nachsicht – gegenüber sich selbst und gegenüber anderen. „Das Böse in anderen zu erwarten bringt das Schlechteste in uns hervor“, sagte er kürzlich der „Süddeutschen Zeitung“. Nachsicht bedeute, „ein mildes Urteil über die Intention des Gegenübers und auch die eigene zu treffen. Davon auszugehen, dass die Person einen Fehler gemacht hat aus Unwissenheit oder Überforderung, aber nicht aus böser Absicht heraus“. Die Fähigkeit zur Empathie werde aus seiner Sicht sogar stärker, da sich Menschen verstärkt mit psychologischen Inhalten befassten, sagte Haghiri, der über Nachsicht ein Buch geschrieben hat. Geringer werde jedoch die Bereitschaft, dies tatsächlich anzuwenden.