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Buch:Plötzlich Sterbebegleiter

Der Schlaganfall der Oma veränderte 2011 das Leben von Martin Frank. Auf dem Bauernhof der Familie wurde der 20-Jährige zu ihrem Pfleger. Wie der Kabarettist diese auch skurrile Zeit erlebt hat, erzählt er in einem Buch.
Jeder hat seinen Lebensplan. Doch das wahre Leben sieht nicht selten anders aus.
Datum:
26. Apr. 2024
Von:
Barbara Just 

Martin Frank kann es selbst kaum glauben. Der Übertritt von der Grundschule in die Realschule war dem niederbayerischen Kabarettisten einst verwehrt worden; in Deutsch hatte es nur zu einer Fünf gereicht. Inzwischen aber ist sein erstes Buch mit dem Titel „Oma, ich fahr schon mal den Rollstuhl vor“ erschienen. Der Rowohlt-Verlag hat das über 200 Seiten starke Werk herausgebracht.  

Darin erzählt der 31-jährige Autor humorvoll und zugleich berührend seine persönliche Geschichte: wie er mit 20 Jahren plötzlich zum Pfleger seiner geliebten Großmutter wurde. Auf einem Bauernhof, wo mehrere Generationen zusammenleben, wird zusammengehalten. Das gilt auch, wenn die Kräfte der Älteren nachlassen. Aber solange alles normal läuft und jeder seine Aufgaben erfüllt, macht sich ein junger Mensch darüber kaum Gedanken. Über Tod und Sterben nachzudenken, reicht immer noch, wenn man selbst 80 geworden ist, sämtliche Länder der Welt bereist, den Dachboden entrümpelt und sich den Kindheitstraum einer eigenen Eisdiele erfüllt hat, notiert Frank: „Und dann auch nur vielleicht.“  

Das stand nicht im Lebensplan  

Dass er aus heiterem Himmel zum Sterbebegleiter seiner Oma werden sollte, stand nicht in seinem Lebensplan. Deren Schlaganfall änderte aber alles. Auf einmal saß sie im Rollstuhl, ein Pflegebett wurde angeschafft, und der Alltag spielte sich von da an im Erdgeschoss des Hauses ab. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Anni, mit der sie seit Kindertagen ein eingeschworenes Team bildete, war nicht wirklich eine Hilfe: Franks Großtante litt zunehmend unter Demenz.  

Das kostet einen viel Kraft.

Martin Frank

Fit hielt sie sich jedoch, wie der Großneffe schreibt, mit ihrer täglichen Einkaufstour im Dorf. Dabei besorgte sie stets das Gleiche: „Drei Brezen, eine Brotzeitscheibe Leberkäse, drei Paar Wiener, Himbeermarmelade, Kondensmilch und schlesische Gurkenhappen.“  

An den seltsamsten Stellen bewahrte die Großtante die Vorräte auf, so dass die Familie die Sachen schon mal unter dem Bettbezug herauszog. Oft verrieten auch seltsame Gerüche, wo sie die Lebensmittel versteckt hatte.  

Frank notiert die Begebenheiten in einem wunderbaren Plauderton, so dass man als Leserin oder Leser über solch skurrile Situationen einfach lachen muss. Im Gespräch mit der Katholischen NachrichtenAgentur (KNA) räumt er indes ein: Wenn jemand hunderttausend Mal am Tag dieselben Fragen stelle oder ohne Grund herumschreie, dann vergreife sich ein gestresster Angehöriger schon mal im Ton oder eine Tür fliege laut zu. „Das kostet einen viel Kraft.“ Dazu gab es ja noch die Bedürfnisse der schwerhörigen Oma.  

Wöchentlich kam die Kommunion 

Dreimal am Tag kam der Pflegedienst. Ohne den wäre nichts gegangen, betont der Künstler. Aber die hauptsächliche Betreuung bleibe bei den Angehörigen, in diesem Fall bei ihm, seinem jüngeren Bruder und dem Vater, die mit den Pflegebedürftigen zusammenlebten. So mussten Oma und Enkel lernen, dass der Gang zur Toilette nur noch gemeinsam möglich ist. Dabei galt es, Hemmungen zu überwinden. Zunehmend wurden sie zum eingespielten Team, so dass Frank von der Großmutter sogar zu hören bekam, sie würde seine Hilfe bevorzugen: „Mit dir is ma liaba“ (Mit dir ist es mir lieber), lautete der Satz. „Für meine Oma war das fast eine Liebeserklärung.“ Weil der katholische Glaube für die Großmutter zeitlebens wichtig war, sorgte Frank dafür, dass der Pfarrer ihr wöchentlich die Kommunion brachte. Dann musste der Enkel zuvor die Zeitungen vom Tisch räumen, eine frische Blume in die Vase stecken und eine Kerze anzünden. Betrat der Geistliche das Haus, dann strahlten beide Schwestern übers ganze Gesicht.  

Frank fuhr die zwei auch zum Krankengottesdienst. Beim Anblick der vielen Leute, die ihre Angehörigen begleiteten, wurde dem Ex-Ministranten nach eigenen Worten bewusst: „Schau her, ich bin nicht allein.“  

89 Jahre war die Großmutter, als sie für immer ihre Augen schloss. Sieben Stunden hatte der Enkel an ihrem Bett gesessen, doch genau dann passierte es, als er die Großtante auf ihr Zimmer brachte: „Sie wollte wohl die letzten paar Schritte alleine gehen.“