Frau Schubert, warum haben Sie ein Buch über das Zusammenleben mit Ihrem pflegebedürftigen Mann geschrieben?
Ich hatte zunächst begonnen, ein Buch über meine Großmütter zu schreiben. Dann ging es meinem Mann immer schlechter. Ich habe angefangen, immer abends, nachdem ich ihn ins Bett gebracht hatte, Tag für Tag ganz kurze Passagen aufzuschreiben. Dabei habe ich gemerkt: Das ist es, was mich eigentlich interessiert. Das Schreiben war für mich immer eine Rettung, wenn es besonders schlimm kam.
Sie nennen Ihren Mann im Buch „Derden“. Warum?
„Derden“ steht für „Der, den ich liebe“. Der Name soll deutlich machen, dass mein Buch keine Autobiografie ist. Ich habe alle Erlebnisse in meinem Kopf verarbeitet und überdacht, bevor ich sie aufgeschrieben habe. Es ist eine literarische Arbeit mit autobiografischem Material.
Sie kümmern sich seit vielen Jahren tagtäglich um Ihren Mann. Sie helfen ihm morgens aus dem Bett und abends wieder hinein. Manchmal erkennt er sie nicht. Woher nehmen Sie die Kraft, dieses Schicksal zu ertragen?
Anfangs fiel es mir schwer, aber inzwischen ist es kein Ertragen mehr. Ich habe die Situation so für mich angenommen. Mein Mann ist ein besonders freundlicher und dankbarer Patient. Wenn ich mich abends von ihm verabschiede, wünscht er mir einen schönen Traum und sagt schon, dass er sich auf den nächsten Morgen freut. Es schmeckt ihm, was ich koche. Er freut sich, dass er in seinem Rollstuhl im Wintergarten sitzen kann. Es kommt ganz viel zurück. Eine Schwester sagte einmal zu meinem Mann: „Sie haben hier das Paradies.“ Darauf antwortete er: „Ja, und der liebe Gott hat mir gleich auch noch einen Engel dazu beschert.“ Das ist natürlich eine Motivation (lacht).
Sie sind evangelische Christin. Hilft Ihnen auch Ihr Glaube?
Ja. Anfangs habe ich immer um Kraft gebetet, um alles auszuhalten. Aber das brauche ich inzwischen nicht mehr. Das Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ ist eine Richtungsweisung für mich. Außerdem gibt mir mein Glaube die Hoffnung, dass das Leben nach dem Tod nicht zu Ende ist, sondern dass es einen Übergang in eine andere Welt gibt. Der Glaube hilft übrigens auch meinem Mann, nicht nur mir.
Wie verändert die Pflegebedürftigkeit eine Beziehung?
Man muss sich Mühe geben, den anderen nicht nur als abhängig zu sehen. Man muss den Menschen als Ganzen sehen mit seiner Vergangenheit und nicht nur in seiner jetzigen Situation. Ich helfe mir dadurch, dass ich ganz viel einbeziehe aus unserer gemeinsamen Vergangenheit. Wir sprechen zum Beispiel über die Bilder, die mein Mann gemalt hat.
Haben Sie mit Ihrem Mann auch über den Tod gesprochen?
Ja, wir unterhalten uns sehr viel über den Tod. Er geht zu 100 Prozent davon aus, dass er zuerst stirbt. Er möchte am Eingang des Himmels sitzen und dann sagen: „Da ist sie.“ Aber ich habe ihm gesagt, dass es auch umgekehrt sein kann. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Wir haben uns die
Friedhöfe in der Region angesehen. Wir wissen schon, von welcher Pastorin wir beerdigt werden möchten. Wir sind darauf gefasst, dass einer von uns beiden gehen muss.
Sie haben mit Ihrem Mann auch über das Thema Suizidbeihilfe gesprochen, betonen aber auch, dass sie nicht Herrin über die Schöpfung sein möchten. Wie blicken Sie auf die aktuelle Debatte?
Wenn mein Mann sich unbedingt töten lassen wollte, dann würde ich immerzu versuchen, ihn davon abzuhalten. Ich will ihm bis zuletzt ein schmerzfreies Leben ermöglichen. Er soll von sich aus sterben können – ohne zusätzliche Mittel. Ich habe allerdings Verständnis für Menschen, die sterben wollen. Aber es darf auf keinen Fall heimlich sein. Es darf keine Missverständnisse geben. Kein Arzt darf gezwungen werden, das zu machen. Und der Mensch, der sterben will, muss sein Einverständnis geben. Das stelle ich mir furchtbar schwer vor. Grundsätzlich verbieten würde ich Suizidbeihilfe als Anhängerin einer liberalen Gesellschaft nicht. Aber man muss das sehr genau gesetzlich regeln – möglichst ohne Grauzone.
Was würden Sie pflegenden Angehörigen raten?
Jeder Pflegende muss sich immer wieder vor Augen führen, dass er selbst derjenige sein könnte, der da liegt. Im Grunde ist es die Frage: Liebe ich jemanden so, wie mich selbst? Wenn man Ja sagt zu einem anderen Menschen, dann ist alles andere zweitrangig. Die Liebe ist das Größte (hat Tränen in den Augen).