Erben:Das Erbe und der Streit darum

Herr Professor Jonas, warum kommt es immer wieder zu Erbstreitigkeiten – auch unter Geschwistern, die sich eigentlich gut verstehen?
Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Die Erben befinden sich in einer außergewöhnlichen Situation. Man hat einen geliebten Angehörigen verloren. Wenn dann die Erblasser im Vorfeld nicht mit ihren Kindern oder anderen Angehörigen gesprochen haben, kann es zu bösen Überraschungen kommen. Die können dann wiederum Streitigkeiten etwa unter Geschwistern wieder aufleben lassen, die weit zurückliegen. Ich kann mich plötzlich an die schlechten Dinge erinnern, wenn ein Testament eine mögliche Ungerechtigkeit oder ein Gefühl von Ungerechtigkeit oder einer ungerechten Behandlung hervorruft.
Welche weiteren Gründe gibt es?
Es gibt auch andere Konstellationen: Es kann eine lang bestehende oder empfundene Ungleichheit oder einen anderen Konflikt zwischen Geschwistern geben. Die können durch ein Testament noch einmal befeuert werden. Und dann ist da noch die dritte Variante, wenn es eine Art Nicht-Beziehung zu den Geschwistern gab, wenn man sich einfach wenig zu sagen hatte. In einem Erbfall, der ja eigentlich die Familie wieder zusammenbringen soll, kann das ebenfalls zu einem Konflikt führen, weil das Erbe nicht die für mich gerechte Aufteilung widerspiegelt, die ich als Erbe eigentlich erwartet hätte.
Streiten sich die Erben denn eher um einen als ungerecht empfundenen finanziellen Betrag? Oder geht es um das schöne Service oder das Bild, das immer im Wohnzimmer hing?
Die Konflikte können über alles entstehen, sie müssen also nicht mal über Geld und große Wertgegenstände entstehen. Sie können ihre Ursache auch in einer schlichten Kaffeetasse haben, aus der die Mutter oder der Vater jeden Morgen den Kaffee getrunken hat und die einen psychologisch hohen Wert darstellt. Wenn ein einzelnes Geschwisterkind die Wohnung ausräumt und Dinge einfach an sich nimmt oder wegwirft – ohne darüber nachzudenken, dass die Schwester oder der Bruder vielleicht eine ganz starke emotionale Bindung zu einem Gegenstand hat, dann kommt es leicht zu psychologisch schwerwiegenden Verletzungen. Wenn der Gegenstand in der Mülltonne verschwunden ist, lässt sich der Konflikt nicht mehr so einfach lösen, weil diese hoch symbolisch beladenen Gegenstände nicht mit Geld wieder herstellbar sind. Das alles lässt sich vermeiden, wenn sich Erblasser und Erben schon früh zusammensetzen und darüber sprechen, was wem wichtig ist.
Wenn die Erblasser das offen ansprechen und zu einem solchen Gespräch einladen, ist das der Idealfall. Aber was macht man, wenn das nicht erfolgt und man nicht als Erbschleicher dastehen möchte?
Ein Anknüpfungspunkt kann die Gesundheit der Eltern sein, etwa wenn sie einen medizinischen Eingriff vor sich haben. Da könnte man nachfragen, ob es eine Patientenverfügung gibt. Zugleich kann man seinen Eltern ja auch vermitteln: „Ich kümmere mich um dich, ich will, dass es für dich gut geregelt ist, und die Erbfrage steht für mich nicht an erster Stelle.“ Aber sie kann in diesem Kontext dennoch angesprochen werden. Die Corona-Pandemie hat zudem ihren Beitrag geleistet, dass das Thema Krankheit, aber auch das Sterben wieder näher in den gesellschaftlichen Fokus gerückt sind. Es gibt die Erfahrung bei Etlichen, dass jemand Kerngesundes innerhalb weniger Tage schwer krank oder im schlimmsten Fall tot ist. Das hat auch bei betagteren Erblassern zu einer größeren Sensibilität beim Thema Erbe geführt.
Und wenn man sich als potenzieller Erbe trotzdem unsicher ist?
Vielleicht ist es eine gute Möglichkeit, erstmal mit Freunden darüber zu sprechen, welche Erfahrungen sie beim Tod ihrer Eltern gemacht haben. Auch die Kirchen haben mittlerweile gute Beratungspakete, die oft an der Patientenverfügung aufgehängt und hilfreich sind. Man kann sich für ein Gespräch natürlich auch Hilfe bei Vertrauenspersonen suchen. Das können Geistliche sein, aber auch Berater im psychotherapeutischen Bereich. Es muss dabei gar nicht sofort um Rechtsberatung gehen, sondern um einen Erfahrungsaustausch.
Und wie kann ich dann in einem Gespräch klarmachen, dass mir bestimmte Dinge wichtig sind?
Erben sollten ihre Bedürfnisse und Wünsche klar äußern, schließlich können die Eltern nicht alles im Kopf haben und keine Gedanken lesen. Transparenz ist hier oberstes Gebot.
Und wenn es trotzdem Streit gibt?
Da würde ich zu einem Gespräch mit einem Mediator raten. Das geht mit jemandem, der eine entsprechende Ausbildung hat und von außen kommt, besser als mit eigenen relativ unbeholfenen Versuchen. Wenn man es sich materiell leisten kann, empfehle ich im Zweifel zum Verzicht oder, wenn möglich, zum Teilen, um einen größeren Konflikt zu vermeiden. Auch wenn die Erblasser meinen, gerecht zu handeln, müssen das die Erben nicht so empfinden, denken Sie an die Tochter, die ihre Mutter jahrelang pflegt, deswegen nicht erwerbstätig ist und trotzdem nur den gleichen Anteil erhält wie ihre Geschwister.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Wie sind Sie selbst dazu gekommen, sich mit dem Thema Erben zu beschäftigen?
Das liegt an einem gemeinsamen Projekt mit meinem Vater, der Unternehmensberater war und auch im Bankensektor gearbeitet hat. Er hat sich beruflich mit dem Thema beschäftigt und mich dann gefragt, was die Psychologie dazu sagt. Ursprünglich wollte ich ihm nur ein paar Sachen raussuchen und schicken, um dann festzustellen, dass es zu dem Thema wenig gibt. Und so ist ein Buchprojekt gemeinsam mit meinem Vater über das Thema entstanden (Konfliktfrei vererben, Hogrefe-Verlag, ISBN 9783844423990, 14.99 Euro, Anm. d. Red). Und: Ja, meine Eltern haben ihr Testament geregelt und die Erben einbezogen. Ich kenne es also.