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Service:Alltag in einer Patchworkfamilie

Wenn Eltern nach einer Trennung nochmals eine Familie gründen, braucht das Zusammenwachsen Zeit. Vor allem Kindern fällt es oft schwer, sich umzugewöhnen. Ein paar einfache Regeln können allen Beteiligten helfen.
Gemeinsame Aktionen, wie beispielsweise das Zubereiten von Mahlzeiten. fördern das Zusammenwachsen einer Patchworkfamilie.
Datum:
15. März 2024
Von:
Jutta Simone Thiel

Abwechslungsreich und vielseitig – so sieht oft das Leben in einer Patchworkfamilie aus. „Der Alltag kann aber auch für alle Beteiligten ganz schön anstrengend und herausfordernd sein“, berichtet Juliane Conradt, Psychologin und Systemische Paar- und Familienberaterin in der Familienberatungsstelle des Caritas-Zentrums Garmisch-Partenkirchen. „Denn in Patchworkfamilien muss nicht nur logistisch einiges bewältigt werden; es prallen auch die unterschiedlichsten Bedürfnisse aufeinander.“ Schließlich wohnen neben einem Elternteil und seinem leiblichen Nachwuchs auch ein Stief-Elternteil und eventuell Stief- oder Halbgeschwister unter demselben Dach.

Patchworkfamilien sind nicht selten

Schätzungen zufolge ist in Deutschland inzwischen jede siebte Familie als Patchwork zusammengesetzt. Damit ist diese Konstellation ähnlich häufig anzutreffen wie Alleinerziehende. Alle Patchworkfamilien verbindet, dass mindestens einer der Partner bereits eine Beziehung hinter sich hat, aus der zumindest ein Kind entstanden ist – und dass die Erfahrungen daraus verarbeitet werden müssen.

Auch die Kinder, die aus dieser ersten Verbindung hervorgegangen sind, müssen die Vergangenheit hinter sich lassen. Sie können sich oft aber nur schwer damit abfinden, dass ihre leiblichen Eltern nicht mehr zusammenleben, oder wünschen sich insgeheim, dass diese wieder zusammenkommen. Zieht Mutter oder Vater mit einer neuen Person zusammen, werden diese Hoffnungen zunichte gemacht, und es tauchen existenzielle Fragen auf: Wo gehöre ich jetzt hin? Mit wem kann ich meine Sorgen besprechen? Ist der Papa noch mein Papa?

Zusammenwachsen braucht Zeit

„Wenn die Kinder das Gefühl haben, dass sie durch die neue Beziehung keinen Elternteil verloren, sondern einen lieben Menschen dazugewonnen haben, können Trauer, Wut und Eifersucht meist gut überwunden werden“, erläutert Conradt. Die Expertin rät dringend dazu, allen Beteiligten ausreichend Zeit fürs Kennenlernen zu lassen. Die Erwachsenen, die nach der Trennung wieder eine Liebe gefunden haben, würden indes bei der neuerlichen Familiengründung meist ein viel zu hohes Tempo vorlegen.

Läuft alles gut, können sie zu Abenteurern zwischen den Welten werden.

Juliane Conradt, Psychologin und Systemische Paar- und Familienberaterin

Auch solle man die Stiefväter oder -mütter keinesfalls zu schnell in die Erziehungsarbeit einbeziehen. Gerade bei unangenehmen Themen wie dem Aufräumen des Zimmers oder den Hausaufgaben sei ansonsten mit einem „Du hast mir gar nichts zu sagen!“ zu rechnen.

Vier Tage Mama, drei Tage Papa – zum Leben einer Patchwork-Familie gehört in vielen Fällen, dass die Kinder in einem vorgegebenen Rhythmus zwischen den leiblichen Eltern pendeln. Die Folge: Sie besitzen zwei Kinderzimmer, sie fahren zwei Mal in Urlaub, sie feiern zwei Mal Weihnachten und sie werden nach zweierlei Maßstäben erzogen: „Läuft alles gut, können sie zu Abenteurern zwischen den Welten werden“, berichtet Conradt.

Kinder haben feine Antennen

Voraussetzung für einen reibungslosen Ablauf sei jedoch, dass die Kinder beim Ortswechsel nie das Gefühl haben, jemanden unglücklich zurücklassen zu müssen. Deshalb sollten Vater und Mutter stets zeigen, dass die Situation, so wie sie jetzt ist, für sie in Ordnung ist. „Ganz wichtig ist zudem, zu signalisieren: Du darfst auch beim anderen Elternteil eine schöne Zeit verbringen“, betont die Psychologin. Wenn der Ex-Partner eine neue Beziehung habe, während man selbst den Alltag alleine bewältige, sei dies erfahrungsgemäß besonders schwer.

Zum Spagat könne es für die leiblichen Eltern werden, sowohl mit dem aktuellen Partner als auch mit dem eigenen Kind ausreichend Zeit zu verbringen. Für das Kind ist dies Conradt zufolge besonders wichtig, um nicht in einen Konkurrenzkampf um den Vater oder die Mutter zu geraten. Ein gemeinsames Ritual oder Hobby könne hier hilfreich sein.

Bei allen Schwierigkeiten sieht die Familienexpertin auch die Chancen, die das Leben in einer Patchworkfamilie birgt: „Häufig entwickeln sich zwischen den Heranwachsenden, dem Stiefelternteil und den neuen Geschwistern enge Vertrauensverhältnisse, die sehr bereichernd sein können. Weil so viele unterschiedliche Persönlichkeiten mit ihren Bedürfnissen aufeinandertreffen, lernen zudem alle Beteiligten in besonderem Maße, sich kompromissbereit und tolerant zu zeigen."