Auf Knopfdruck geht gar nichts
Ihre Ehe ist fehleranfällig oder sehr kompliziert? Sie suchen nach einer „App“, nach einem „Update“? Oder wenn alle Stricke reißen: nach dem Aus-Knopf und einem „Reset“. Die gute Nachricht: ja, es gibt Hilfe. Die schlechte Nachricht: Nein, auf Knopfdruck geht hier gar nichts!
„Mein Mann hört mir nur noch zu, wenn er etwas von mir haben will, sonst schaltet er auf stur.“ – „Sie textet mich einfach zu und will gar nicht wirklich hören, was ich zu sagen habe. Bei bestimmten Themen, ‚drückt‘ er mich einfach weg.“ – „Wenn ich etwas sagen will, was ihr unangenehm ist, schneidet sie mir gleich das Wort ab.“ Solche Sätze habe ich immer wieder in Eheberatungsgesprächen gehört. Nicht richtig zuhören, Unliebsames ausblenden und wenn es richtig unschön ist einfach alle Kommunikationskanäle kappen – kommt Ihnen das bekannt vor?
Immer mehr Funktionen und Aktivitäten in unserem Alltag lösen wir technisch, schnell und per Knopfdruck auf der Fernbedienung oder einem kurzen Wischen übers Display unseres Smartphones. Wir drücken einen (virtuellen) Button und bewegen ganze Welten. Wenn uns etwas nicht passt, schalten wir einfach um. In Sekundenbruchteilen werden unsere Befehle ausgeführt, wir katapultieren uns aus unserer Wohnung mitten in den Urwald, überspringen ungeduldig ganze Sätze einer Symphonie. Mit einem Knopfdruck können wir Kilometer weit entfernt in unserem Haus die Heizung regulieren.
Dem Segen ist der Fluch nicht fremd
Warum funktioniert manches in der Partnerschaft nicht? Warum nicht sofort? Warum nicht immer genau so, wie ich es haben will? Es lässt sich doch auch sonst Lästiges sofort aus der Welt schaffen, einfach „ausschalten“, „abschalten“, „wegklicken“, „wegwischen“. Wenn wir die Mentalität der technischen Welt – schnell, effizient, kontrollierbar – auch im Miteinander an den Tag legen, hat das fatale Folgen. Dann werden Schwierigkeiten immer weniger miteinander dargelegt, ausgehandelt, sondern zu schnell weggedrückt, unterdrückt. Dann versucht man durch abruptes Türenknallen, lautes Autohupen oder demonstratives Weghören Druck zu machen und Probleme zu überwinden. Dann wird alles lästig, was sich nicht im Hier-und Sofort-Modus lösen lässt.
Menschliche Beziehungen müssen wachsen dürfen
Die digitale Welt erleichtert die Kommunikation, doch nicht immer fördert sie den persönlichen Dialog. Man überspringt leicht die Reaktion des Gegenübers. Bei der geringsten Unlust können wir per Knopfdruck oder Mausklick sofort fliehen, man schaltet einfach um, weiter oder aus – alles nach Belieben, aus einer Gefühlssekun-de geboren. Der, die oder das auf der anderen Seite des „Knopfes“, des Displays haben wenig Chance, sie hängen lediglich am Stromkreis meiner Wünsche, meiner momentanen Lust oder Unlust.
Menschen trennen sich zu schnell von ihren Partnern und Partnerinnen, wechseln voreilig das „Programm“, anstatt sich, was hilfreicher wäre, von unrealistischen und falschen Vorstellungen über Partnerschaft zu trennen. Wenn sich Glück in der Partnerschaft nicht gleich per Knopfdruck einstellt, kribbelt es uns in den Fingern, das „neue Programm“ zu suchen. Beziehungen rutschen zu schnell auf eine Ebene, die nur noch fordert, befiehlt und einklagt, anstatt zuzuhören.
Wer einen Menschen wirklich verstehen will, eine Grundvoraussetzung für eine gute Kommunikation, der muss zuvor, einem Indianerhäuptling der Sioux zufolge, „drei Monde (Monate) lang in seinen Mokassins gegangen sein“. Wer aber das tut, der kann glaubhaft nachempfinden, was dieser Mensch alles erlebt, kann und erlitten hat. Das wird das Urteil über ihn gerechter, glaubwürdiger und realitätsbezogener machen. Wer diese Geduld aufbringen kann, wird es eben nicht „per Knopfdruck“ oder „Wisch“ erreichen. Es sollte ja immer in Ruhe miteinander geredet werden, nicht nebeneinander her oder übereinander.
Menschliche Beziehungen gedeihen halt nur wie Vorgänge in der Natur, sie müssen wachsen dürfen, brauchen Entwicklung, Reife, benötigen Geduld, Pflege, Interesse und viel Zeit. Gute Beziehungen können nicht das gebrauchen, was wir mit technischen Geräten erreichen wollen, können und dürfen: funktionierenden Gehorsam, eingeforderte Effizienz, fehlerlose Reaktion, automatische Verlässlichkeit. Lebendige Beziehungen aber leben davon, dass man auf Augenhöhe miteinander redet, dass man dem anderen die Möglichkeit lässt, Fehler machen zu dürfen, sie leben vom Augenmaß in Erwartungen und Wünschen an den anderen und von spürbarer Anstrengung, Fehler wieder gutzumachen.
Eine gute Beziehung ist nicht nur „ein-fach“, nein, sie ist buchstäblich sogar „zwei-fach“, wie der Gezeitenwechsel von Ebbe und Flut, und braucht deshalb ein Gleichgewicht von Ich und Du, Geben und Nehmen, Anstrengung und Entspannung, Nähe und Distanz, Harmonie und Streit, Annehmen und Verändern. Ohne diese Balance entartet jede Beziehung, und ohne Pflege verkümmert sie. Es braucht dafür viel Nähe, eben keine „Fern-Bedienung“. Partnerschaft erfordert persönliches Interesse, Ansprache, Engagement und Verantwortung, viel Zwiesprache, auch Intimität und Zärtlichkeit. Wie ans Herz gehend ist eine Beziehung, die uns Berthold Brecht in einem Gedicht anschaulich schildert. „Der, den ich liebe, hat mir gesagt, dass er mich braucht. Darum gebe ich auf mich acht, sehe auf meinen Weg und fürchte von jedem Regentropfen, dass er mich erschlagen könnte.“ Das geht nicht per Knopfdruck, sondern mit „Fingerspitzengefühl“.
„Nicht immer gleich was Neues“
Sie kennen den Rat, wenn etwas defekt ist und repariert werden soll: „Kauf dir was Neues, das ist billiger!“ Auch eine solche Haltung, unmerklich, aber virulent, wird sich hoffentlich nicht auch noch in unsere partnerschaftliche Denk- und Gefühlsebene einnisten wollen. Natürlich scheint es auf den ersten Blick wesentlich einfacher, sich in eine neue noch unbelastete Beziehung zu begeben, statt sich mit der anstrengenden Aufarbeitung einer fehlerhaften herum zu schlagen. Als jemand, der über 40 Jahre Eheberatung durchführen durfte, darf ich aber behaupten, dass dieser sicher mühsame und geduldige Versuch in den meisten Fällen zum Erfolg führt.