Geistlicher Missbrauch:Meine, nicht Gottes Stimme
Geistlicher Missbrauch ist bisher weder kirchenrechtlich noch strafrechtlich als Straftat definiert. Das soll sich nach dem Willen der Bischöfe ändern: „Ich glaube, dass wir dahinkommen werden“, sagte der Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmer-evers, bei der Vollversammlung. „Die bisweilen lebenslang wirkenden Verwundungen solchen Missbrauchs sind denen des sexuellen Missbrauchs vergleichbar.“ Opfer von geistlichem Missbrauch hätten es nach wie vor sehr schwer, sich Gehör zu verschaffen. Sexueller Missbrauch werde oft von geistlichem Missbrauch vorbereitet. „Darunter versteht man die Manipulation, Ausnutzung oder Bevormundung von Menschen im Namen Gottes – etwa in der Seelsorge, bei der Beichte oder geistlichen Begleitung.“
Die Arbeitshilfe der Bischofskonferenz soll dazu beitragen, die Vorbeugung und Aufarbeitung zu verbessern. Betroffene sollen sich an unabhängige Beraterinnen und Berater in Anlaufstellen wenden können, um Hilfe zu bekommen. Täter sollen zur Rechenschaft gezogen werden.
Woran ist der geistliche Missbrauch zu erkennen?
Doch woran kann man geistlichen Missbrauch erkennen? Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf sieht die Grenze dort erreicht, wo jemand sagt: „Ich weiß genau, was für dich richtig ist.“ Seelsorger und geistliche Begleiter dürften niemanden in die Abhängigkeit führen. „Ich darf meine Stimme und Idee nicht mit der Stimme Gottes verwechseln.“
Kohlgraf wies auf ein Forschungsprojekt der Universität Münster hin. Untersucht wird dabei der Missbrauch in den geistlichen Gemeinschaften „Totus Tuus“ (Bistum Münster) und „Christusgemeinschaft“ (Bistum Osnabrück). Die Bischofskonferenz habe zudem bereits 2020 eine Anlaufstelle vor allem für betroffene Frauen eingerichtet. Sie ist erreichbar unter www.gegengewalt-inkirche.de.
Missbrauch von geistlicher Autorität
Die Arbeitshilfe hält fest, dass Geistlicher Missbrauch im präzisen Sinn von Missbrauch geistlicher Autorität zu verstehen ist. Denn ein Missbrauch selbst könne nie geistlicher Art sein. Aber Kleriker wie Laien als Seelsorgerinnen und Seelsorger, geistliche Begleiterinnen und Begleiter, Ordensverantwortliche, Leiterinnen und Leiter von geistlichen Gemeinschaften und andere könnten die ihnen eigene oder ihnen zugeschriebene geistliche Autorität missbrauchen. Im Unterschied zum spirituellen Machtmissbrauch durch kirchliche Amtsträger nehme der Missbrauch geistlicher Autorität auch diejenigen in den Blick, die andere geistlich manipulieren, ohne eine institutionelle oder strukturelle Machtfunktion in der Kirche innezuhaben. In einer Vielzahl von Fällen habe dieser Missbrauch geistlicher Autorität in der Kirche den sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen angebahnt.
Geistlicher Missbrauch ist ein eigener Prozess
Die Aufarbeitung von geistlichem Missbrauch sei ein eigener, vom sexuellen Missbrauch zu unterscheidender Prozess. Anders als beim sexuellen Missbrauch habe es praktisch nie Eintragungen in die Personalakten möglicher Täter oder Täterinnen gegeben. Zudem komme es beim geistlichen Missbrauch, wenn er nicht in Verbindung mit sexuellem Missbrauch geschah, kaum zu einer Strafverfolgung durch Staatsanwaltschaften.
Erfahrungen in den Diözesen zeigten: Die Betroffenen möchten in erster Linie, dass ihre Erfahrungen auch als geistlicher Missbrauch bezeichnet werden und daraus folgendes Leid benannt und anerkannt wird. Anders als beim sexuellen Missbrauch stehe man beim Umgang mit geistlichem Missbrauch aber erst am Anfang der Aufklärung und Aufarbeitung.
Die psychischen, emotionalen, biographischen und existenziellen Folgen, die bisweilen lebenslang wirkenden Verwundungen solchen Missbrauchs seien denen des sexuellen Missbrauchs vergleichbar, heißt es. Darum sei es ein erster und wichtiger Schritt, dass die deutschen Bischöfe sich in der Arbeitshilfe „Missbrauch geistlicher Autorität“ an einen von Betroffenen selbst geprägten Sprachgebrauch anschließen würden.
Wenn nötig und rechtlich möglich, sollen strafrechtliche und dienstrechtliche Konsequenzen für die Täterpersonen durchgesetzt (wie Suspendierung vom Dienst, Amtsenthebung, Entziehen von Vollmachten und Beauftragungen, Einleitung von kirchlichen Strafverfahren) und verwaltungsrechtliche Entscheidungen getroffen werden.
Außerdem sei es dringend erforderlich, dass die vorgebrachten Vorfälle geistlichen Missbrauchs und ihre rechtliche Aufarbeitung auch wissenschaftlich untersucht und analysiert werden.