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Mal alleine den Alltag meistern

In dieser „Paulinus“-Lebensberatung geht es um Lena und „ihren schwierigen Weg zur Eigenverantwortung“. Die Mutter regelte alles für ihr Kind. Als sie stirbt, kommt die 20-Jährige nicht mehr klar. Sie wird obdach- und arbeitslos.
Natürlich ist es angenehm, wenn die Mutter sich um alles kümmert. Aber was ist, wenn das jegliche Eigeninitiative lähmt oder die Mutter stirbt?
Datum:
13. Jan. 2019
Von:
Jutta Pracht

Lena, eine 20-jährige Koblenzerin, hatte sich in der Beratungsstelle angemeldet, da sie sich mit den Auswirkungen des plötzlichen Todes ihrer Mutter konfrontiert sah. Sie war zu diesem Zeitpunkt obdach- und arbeitslos und brachte folgende Familiengeschichte mit:

Lena hat zwei ältere Geschwister, die ihr eigenes Leben leben. Den Vater bezeichnete sie als alkoholkrank und kleinkriminell, Gewalt gegen sie und ihre Mutter hatte es täglich gegeben. Lenas Mutter schaffte es, sich von dem gewalttätigen Mann zu trennen, und ernährte sich und ihre Tochter über Putzstellen. Da die Mutter selbst über keine Schulausbildung verfügte, war ihr die Bildung ihrer Tochter sehr wichtig. Lena sollte es in Zukunft gut haben und ein besseres Leben führen als sie. Lena schaffte einen passablen Schulabschluss in der Realschule Plus und fand eine Ausbildungsstelle zur Verkäuferin.

Die Mutter übernahm die komplette Lebensorganisation ihrer Tochter, da sie unbedingt wollte, dass der Tochter alles gelingen sollte. Sie übernahm das Wecken am Morgen und auch das ins Bett schicken am Abend.

Und Lena fühlte sich mit dieser Rundumversorgung sehr wohl. Ein Satz von ihr lautete: „Ich muss mir fürs Leben nichts selber ausdenken.“ Sie spürte auch den ganzen Stolz der Mutter, und das machte Lena glücklich.

Die vermeintlich schützende Haltung der Mutter hatte fatale Auswirkungen – als diese nämlich an Herzversagen verstarb. Lena stand vor einem tiefen Loch. Die Wohnung wurde gekündigt. Sie verlor ihre Ausbildungsstelle, da sie sich alleine keine Struktur schaffen und einhalten konnte. Sie irrte förmlich durchs Leben und beging einen Diebstahl. Sie hatte keinen festen Wohnsitz mehr, übernachtete an verschiedenen Stellen. Lena hatte die Vorstellung verloren, wie es für sie im Leben weitergehen könnte. Ein emotionaler Super-Gau für solch ein junges Leben.

Wir sehen in der Lebensberatung verstärkt junge Menschen zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr aus ganz unterschiedlichen Familienstrukturen kommend, welchen es an sogenannten Alltagsfähigkeiten mangelt. Sei es im Bereich Selbstorganisation oder einfach an den grundlegenden Fähigkeiten, den Alltag zu meistern. Hier ergibt sich eine neue Herausforderung im Bereich der Jugendhilfe und ihrer Kooperationspartner, die Nachreifung junger Menschen zu ermöglichen.

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) sieht Leistungen zur Unterstützung vor. Es gibt junge Menschen, die dringend ein stationäres Angebot wie eine therapeutische Wohngruppe zur Weiterentwicklung benötigen. Die Verfügbarkeit dieser Leistung sollte sich weiterentwickeln, auch durch einen unproblematischen Zugang im niedrigschwelligen Bereich.

Ein ambulantes Angebot der Beratungsstelle kann nur greifen, wenn existenzielle Dinge des Lebens geregelt sind. Beratungsarbeit mit jungen Menschen wie Lena ist ein definierter Auftrag für die Lebensberatungsstelle. Es ist eine Hilfe zur Selbsthilfe.

Anbieten konnten wir Lena, gemeinsam einen Beratungsauftrag mit klaren Zielen zu entwickeln, dabei nach ihren Ressourcen zu suchen und ihre Potenziale zu finden und zu fördern. Ihr größtes Ziel, ein Leben in Eigenverantwortlichkeit zu leben, konnte sie so in kleinen Schritten erreichen.

Aus der Dokumentation „Forschungsprojekt zur Wohnungslosigkeit in Rheinland-Pfalz“ der Hochschule Koblenz 2014 geht hervor, dass fast jeder vierte wohnungslose Mensch jünger als 25 Jahre alt ist.