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Obdachlosigkeit:Lieber Essen oder Geld? 

Obdachlose gehören vielerorts zum Stadtbild. Wie kann ich sie ansprechen? Gebe ich ihnen lieber Geld oder Essen? Und wo kann ich weitere Hilfe holen? Eine Expertin gibt Tipps.
Ein Obdachloser schläft am 10. Januar 2017 auf Pappkartons unter einer bunten Decke auf dem Boden unter den Bernini-Kolonnaden am Petersplatz im Vatikan. Vor ihm steht ein Sammelbecher.
Datum:
22. Sept. 2023
Von:
KNA

Schätzungen zufolge leben rund 40.000 Obdachlose auf Deutschlands Straßen. Oft wird ihnen kaum Beachtung geschenkt, obwohl sie um Unterstützung bitten. Die Leiterin des Bereichs Wohnungslosenhilfe beim Caritasverband Hannover, Ramona Ligendza, erklärt, wie man den Menschen am besten helfen kann.  

Ein Obdachloser bettelt auf der Straße. Soll ich Geld geben oder lieber Essen und Trinken?  

Wichtig ist, auf eine Ansprache durch einen Obdachlosen überhaupt eine freundliche Reaktion zu zeigen. „Auf welche Weise, bleibt jedem selbst überlassen“, sagt Ligendza. „Wenn die Person explizit um Geld bittet, kann jeder frei entscheiden, ob er dem Wunsch nachkommt“, so die Sozialarbeiterin. Wer ein ungutes Gefühl habe, könne höflich nachfragen oder anbieten, etwas zu essen oder zu trinken zu kaufen. „Ich persönlich gebe ungern Geld und besorge lieber etwas im nächsten Laden.“  

Soll ich Alkohol kaufen, wenn die Person das wünscht?  

Auch das bleibt jedem selbst überlassen. „Ich selbst kaufe auch Alkohol, wenn ich das Gefühl habe, dass die Person eventuell einen sogenannten Rappelschluck braucht, um nicht ins Delirium zu fallen“, so die Expertin. „Dies abzuwägen, ist aber keine leichte Entscheidung.“  

Was sollte ich beachten, wenn ich Obdachlosen gegenübertrete? 

Es empfiehlt sich, Obdachlosen – wie allen Menschen – auf Augenhöhe zu begegnen. „Wenn die Person sitzt, sollte man ruhig in die Hocke gehen“, sagt Ligendza. „Wer sich nicht hinknien kann, sollte zumindest ein Lächeln im Gesicht haben.“ Wer nicht helfen könne oder wolle, bringe dies am besten mit einer kurzen freundlichen Antwort ehrlich zum Ausdruck, etwa: „Tut mir leid, ich habe keine Zeit.“ Oder: „Ich habe kein Geld.“ Grundsätzlich gelte: „Obdachlose sind Menschen, so wie du und ich. Jeder hat ein Schicksal, das er oder sie oft nicht selbst zu verantworten hat. Gerade Corona hat uns gezeigt, wie schnell wir selbst in die Obdachlosigkeit rutschen können.“  

Was tue ich, wenn ein Obdachloser dringend Hilfe benötigt?  

Wenn ein Obdachloser beispielsweise sichtbar hilflos in der prallen Sonne liegt, rät die Sozialarbeiterin, Ausschau nach Polizei oder Ordnungsamt zu halten und sie hinzuziehen. „Wenn man ganz klar sieht, dass die Person nicht in der Lage ist, sich aus ihrer Situation zu befreien, lieber einmal zu viel die 112 wählen.“ Weiter empfiehlt sie, sich bis zum Eintreffen des Rettungswagens gegebenenfalls Hilfe von Passanten zu holen. Wenn möglich, könne man eine Rettungsdecke über die hilflose Person legen, um sie vor Hitze oder Kälte zu schützen, oder eine Flasche Wasser anbieten.  

Und wenn es nicht ganz so akut ist – wie finde ich weitere Hilfsangebote?  

Einfach „Wohnungslosenhilfe“ sowie den Namen der jeweiligen Stadt in eine Suchmaschine eingeben und die angegebenen Träger kontaktieren. „Wenn wir Hinweise aus der Bevölkerung erhalten, dass eine scheinbar hilflose Person aufgefunden wurde oder dass verstetigt ein Obdachloser an ein und demselben Platz sitzt, schauen wir nach und werden aktiv“, erklärt die Caritas-Vertreterin. 

Sollte ich Obdachlose zu mir einladen, etwa um zu duschen oder in einem Bett zu übernachten?  

Davon rät Ligendza klar ab. „In der Regel nimmt man ja auch andere fremde Menschen nicht mit zu sich nach Hause – egal ob obdachlos oder nicht.“  

Das Thema Obdachlosigkeit ist in den Medien vor allem im Winter präsent. Haben Obdachlose auch im Sommer Probleme?  

Teilweise sind die Probleme im Sommer laut der Expertin sogar stärker als im Winter. „Im Winter kann ich notfalls die zweite Jogginghose anziehen oder mir einen zweiten Schlafsack nehmen, um mich vor Kälte zu schützen“, sagt Ligendza. Der Schutz vor Hitze sei jedoch häufig schwieriger. Entsprechend halten sich der Expertin zufolge viele Obdachlose zu lange in der prallen Sonne auf, trinken zu wenig und laufen sich die Füße wund. „Obdachlosigkeit ist 365 Tage im Jahr präsent.“ Konkret helfen könnten in der warmen Jahreszeit Sonnenmilch, Mückenschutz, Blasenpflaster, Kappen und Getränke.