Ostern: Hinabgestiegen – auferstanden
Wenn hierzulande häufig von einer Zeitenwende die Rede ist, meint das meist die Notwendigkeit einer fundamentalen Umorientierung, eine Aktion, ein Aktivwerden unsererseits. Für den christlichen Glauben hat dieser Ausdruck eine ganz andere, eine heilsgeschichtliche Bedeutung. Es ist das Tun Gottes an uns, seinen geliebten Geschöpfen. Mit der Geburt seines Sohnes Jesus Christus, mit seinem Kommen in unsere damals wie heute erlösungsbedürftige Welt, hat Gott die Initiative ergriffen und damit tatsächlich eine Wende unseres Schicksals eröffnet. Durch die Hingabe des Sohnes Gottes am Kreuz und in seiner Auferstehung ist nicht mehr Todverfallenheit unser Los, sondern mit ihm Auferstehen zu neuem Leben. Das sagt unser Glaube.
Ohnmacht ist ein wichtiges Empfinden
Menschlich gesehen aber erfahren wir vielfach Ohnmacht; im Blick auf das Weltgeschehen und auch in persönlichen Krisen wissen wir oft nicht weiter. Die im vergangenen Jahr in Trier mit dem Peter-Wust-Preis ausgezeichnete Theologin und Ordensfrau Melanie Wolfers ermutigt in ihrem Buch mit dem Titel „Nimm der Ohnmacht ihre Macht“, sich dieser Tatsache zu stellen. Der russische Einmarsch in die Ukraine, das Gefühl großer Hilflosigkeit, Wut und Angst hat ihr dazu den Anstoß gegeben. Die radikalste Ohnmachtserfahrung ist, so schreibt sie, dass wir sterben müssen, der Schmerz, dass etwas zu Ende geht und ich daran nichts ändern kann. Dabei sei die Ohnmacht ein wichtiges Empfinden, das ich nicht verdrängen darf. Die Klagepsalmen lassen Menschen in der Bibel zu Wort kommen, die ihre Not herausschreien. Sie klagen Gott ihr Elend, klagen ihn bisweilen an und klagen seine Hilfe ein.
Ja, auch wir dürfen klagen, bisweilen herausschreien, was uns das Leben schwer macht, und Hilfe einklagen – manchmal auch stumm auf ihn schauend und das Kreuz, und wieder und wieder durch das Kreuz hindurch auch etwas von dem Licht vielleicht mehr ahnen als sehen, das uns die Auferstehung Jesu Christi erwirkt hat. Mich in diese Haltung, aus österlicher Hoffnung heraus zu glauben, mehr und mehr einzuüben, ist die Berufung eines Christenmenschen.
Warum der Feier von Ostern der Karfreitag vorausgeht
Schon als junger Mensch hat mich umgetrieben, warum der Feier von Ostern der Karfreitag vorausgehen musste. Eine Antwort finde ich im sogenannten Philipperhymnus, dessen Kern eine in Liedform verfasste Kurzformel unseres christlichen Glaubensbekenntnisses ist, das schon kurz nach dem Tod und der Auferstehung Jesu verfasst wurde und in den ersten Gottesdiensten der Christengemeinden gesungen wurde: „Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht / und ihm den Namen verliehen, / der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen / vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: / Jesus Christus ist der Herr / zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2, 5–11).
Der Apostel Paulus hat dieses Liebeslied auf Jesus Christus verfasst, als er in Ephesus in Haft war und ihm die Todesstrafe drohte. Auch er in der Erfahrung äußerster Ohnmacht, schließt sein Ende sehr bewusst in seine Lebensplanung mit ein: Da bleibt nur noch Raum für wesentliche Gedanken. Diese fasst er im vorliegenden Hymnus zusammen, um mit diesen Worten von etwas Zeugnis zu geben, das über sein eigenes Lebensende hinaus Wert und Gültigkeit haben soll. Jesus ist für Paulus die große Lebensentdeckung. Diese ihn selbst vollkommen überraschende Entdeckung ist zum einen, dass der, den dieser Lobhymnus besingt, ein überraschend anderes Ende nimmt, als wir es für gewöhnlich von einem Helden erwarten: Er, der Gott gleich war, erniedrigt sich, macht sich uns Menschen gleich und war gehorsam bis zum Tod, um schließlich von Gott über wirklich alles und jedes erhöht zu werden.
Leben mit der Perspektive christlicher Hoffnung
Der Soziologe und Theologe Matthias Sellmann deutet dies als eine dreischrittige, geistliche Klugheit, die unser Christsein ausmacht: „Christsein ist eine bestimmte Lebenseinstellung und geistliche Alltagskraft. Sie führt dazu, aus sich herauszukommen, immer weniger wegrennen zu müssen und Kraft von außen aufnehmen zu können.“ Es ist in der Tat eine „Kurzformel“, unser Leben mit der Perspektive christlicher Hoffnung anzuschauen. Diese Hoffnung macht sich an Jesus fest, an dem Weg, den er um unserer Erlösung willen zu gehen bereit ist. Sein Zugehen auf das Leiden und Sterben am Kreuz war für ihn alles andere als leicht; das verschweigen uns die Evangelien nicht. Das aber, was er mit seiner Hingabe riskiert, erfährt an Ostern eine ungeahnte Überraschung: Er flieht nicht vor der Herausforderung, die von ihm den Einsatz seines Lebens fordert; seine Hingabe aber sollte eine Investition in das Glück auch anderer sein. Jesus hat damit einen Raum von Wirklichkeit erschlossen, an dem wir Anteil haben dürfen. Für uns Grund zu österlicher Freude, die es zu teilen, mitzuteilen gilt an eine Welt, der wir als Christen dieses Zeugnis schulden.
Unser Autor Weihbischof Jörg Michael Peters ist Bischofsvikar für den Visitationsbezirk Trier und Trierer Dompropst.