Erschöpfung scheint ein hochaktuelles Symptom der Zeit zu sein. Zahllose Beiträge in Magazinen, Buchtitel und Fernsehbeiträge greifen das Thema auf. Da gibt es Tipps für Bewegungs- und Kochmuffel, Anleitungen zur Entspannung und Meditation; Coaches bieten ihre Dienste zu einem selbstbestimmteren Leben an. Dennoch scheint sich das Gefühl bleierner Erschöpfung nicht so recht zu legen.
Weniger die Vielzahl von Aufgaben schlauche Menschen heute als der Verlust an Sinn und Orientierung, ist Andreas Salcher überzeugt. „Wenn wir unsere Kraftreserven völlig ausschöpfen, ohne dass es uns Freude bereitet und langfristig Sinn ergibt, dann sind unsere Quellen irgendwann leer“, schreibt der österreichische Unternehmensberater und Bestsellerautor in seinem neuen Buch „Die große Erschöpfung“.
Seine Beobachtung: Gefühle von Überlastung, Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit, Zerrissenheit, Bedeutungslosigkeit oder Einsamkeit verengten die Sicht auf das eigene Leben. Die Folge: Menschen leiden unter einer Art Kurzsichtigkeit, „wir sehen nicht mehr, wer wir sein könnten“. Anders als gemeinhin angenommen sind es aus Salchers Sicht nicht äußere Dinge, die Menschen die Energie raubten; diese verschärften nur „die Folgen von falschen Entscheidungen und Selbsttäuschungen in unserer inneren Welt“.
Wir sollten aufhören, noch mehr von den falschen Dingen zu tun.
Andreas Salcher
Ob man ein erschöpftes oder eher entspanntes Leben führt, ist für ihn deshalb auch eine Kopfsache. So erschließe ein entschlossenes „Nein“ neuen Freiraum – besonders bei Dingen und Tätigkeiten, „die wir weder tun wollen noch tun müssen“. Die heutige Zeit mit unzähligen Optionen überfordert nach Salchers Beobachtung vielfach. Stress entstehe nicht durch den Mangel an Zeit, sondern weil Menschen nicht auf mögliche Optionen verzichten wollten. „Wir sollten aufhören, noch mehr von den falschen Dingen zu tun.“ Wichtig seien vielmehr individuelle Prioritäten – Werte könnten dabei ein starker Schutzschild gegen Stress und Überforderung sein.
Aus der Überfülle an Dingen, Verpflichtungen und Terminen auszuwählen – dafür plädiert auch Buchautor John von Düffel. „Durch den Fokus auf Weniger und Wesentlicheres gewinnen die verbleibenden Dinge und Lebensgewohnheiten eine neue Qualität“, erklärt er. Sich auf den Genuss des Wesentlichen zu beschränken sei ebenso wenig eine Einschränkung, „wie sich auf das zu beschränken, was man liebt“, schreibt er in seinem „Stundenbuch“.
Um den Blick für das Wesentliche zu bekommen, ist es aus Sicht von Salcher wichtig, Ziele und Herausforderungen zu erkennen, die Freude bereiten, Sinn stiften und einem persönlich guttun. „Wenn du nicht tust, was du eigentlich willst, wirst du erschöpft vom Nicht-Tun.“ Menschen, die im Flow bei einer Tätigkeit aufgehen, fühlten sich dagegen nie erschöpft. Erschöpfung komme nicht von Anstrengung, sondern sei eher die Folge von Fremdbestimmung und Sinnverlust.
Aufmerksamkeit in neue Bahnen lenken
Wie aber zurückfinden zu neuer Energie und Kraft? Salcher verweist unter anderen auf Viktor Frankl, den Begründer der Logotherapie. Frankl fand selbst im KZ noch einen Lebenssinn. Eine seiner Erkenntnisse: Jeder kann die Einstellung gegenüber allem, was ihm widerfährt, frei wählen. „Unsere Einstellung ist unsere größte Freiheit, die wir uns von niemandem nehmen lassen sollten“, erläutert Salcher. Zur eigenen Zufriedenheit trägt für Salcher das Bewusstsein bei, dass jeder zumindest das Gefühl, mit dem er den Tag beginne, beeinflussen kann.
Wer seine Persönlichkeit verändern will, müsse lernen, „seine Aufmerksamkeit in neue Bahnen zu lenken, andere Dinge wahrzunehmen und Dinge anders wahrzunehmen“. Das habe auch etwas mit Selbstverantwortung zu tun: „Wer erkennt, für sein Leben verantwortlich zu sein, kann endlich selbst entscheiden.“ Wer sich in diesem Sinne selbst ermächtige, finde einen wichtigen Schutzschild gegen alle Formen der Erschöpfung. „Denn Erschöpfung hat sehr viel mit gefühlter Ohnmacht zu tun.“ Und vielleicht auch mit zu viel Selbstbezogenheit und um sich selbst kreisenden Gedanken. Für Salcher weist der Weg aus der Erschöpfung deshalb nach außen. „Sinn finden wir nicht in uns selbst, sondern in unserem Tun und in der Liebe.“