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Judentum und Islam:Jüdisches Leben schützen

„Affe“, „Schwein“, „Ungläubiger“: Antisemitische Lesarten des Korans haben eine lange Geschichte. Für den islamischen Theologen Khorchide enthält der Koran die gegenteilige Botschaft: Das Judentum sei Quelle des Islams.
Tora und Koran
Datum:
9. Sept. 2025
Von:
Andreas Otto

Nach dem Hamas-Angriff auf Israel und dem Gaza-Krieg bekam er neue Nahrung: der Hass vieler Muslime auf Juden. „Der muslimische Antisemitismus ist real – und er ist gefährlich“, konstatiert Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster. Doch für Feindschaft sieht der Muslim mit palästinensischen Wurzeln keine Grundlage. Im Gegenteil. Denn das Judentum sei eine Quelle des Islams. „Ohne Judentum kein Islam“ lautet denn auch der Titel seines neuen Buches.

Darin wendet sich Khorchide gegen die antijüdische Großerzählung, die das Judentum wegen seines vermeintlichen Ungehorsams gegenüber dem Propheten Mohammed abwertet. Der Wissenschaftler macht sich für eine theologische Wende stark, in der das Judentum als konstitutiver Bestandteil des Islams und des Korans gesehen wird. 

Überlieferungen zu Mohammed oft ungenau

Nach Auffassung des Theologen spiegeln viele Überlieferungen zu Mohammed nicht dessen Worte und Taten wider. Sie seien oft weit nach seiner Lebenszeit entstanden und Ausdruck der politischen und theologischen Konflikte der Zeit. Auch der Koran sei historisch-kritisch zu lesen. Dort fänden sich durchaus Verse, die anti-jüdisch gelesen werden könnten. Und in dieser Lesart erscheine Mohammed als jemand, der mit wachsender Macht zu militärischen Mitteln gegen Juden griff. Solche Narrative würden dazu genutzt, gewaltsame Formen des Dschihads (arabisch: Kampf) theologisch zu legitimieren. Dschihad bedeute aber nicht, Kriege zu führen und Menschen den Islam aufzuzwingen. Ursprünglich meine der Begriff: sich anstrengen und gegen das Schlechte in seinem Selbst ankämpfen.

Kritische Äußerungen gegen Juden im Koran betreffen aber nur konkrete Gruppen und nicht das Judentum als solches, so Khorchide. Falsch sei etwa die Erzählung, der Koran beschimpfe alle Juden als Affen und Schweine. Die Polemik beziehe sich nur auf einen eingegrenzten Kreis, der den Sabbat geschändet und damit ein zentrales Glaubensgebot missachtet habe.

Geschichte bildet tiefgreifendes Narrativ

Khorchide zufolge erwähnen rund 40 der 114 Suren Moses. Seine Geschichte bilde das tiefgreifendste prophetische Narrativ des Korans. Ohne diese Anbindung an jüdische Erzählmuster wäre es Mohammed kaum gelungen, seine Botschaft im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel anschlussfähig zu machen. Zentrale Elemente islamischer Praxis wie rituelle Reinheitsgebote, Fastenvorschriften, Gebetsrichtung seien in enger Anlehnung an jüdische Bräuche entstanden.

Kontinuität zu den Traditionen

Dem Propheten ist es Khorchide zufolge wichtig gewesen, in einer Kontinuität zur jüdischen und auch zur christlichen Tradition wahrgenommen zu werden. „Er wollte nicht als Stifter einer eigenen, neuen Religion gesehen werden, sondern als Fortführer der Botschaften Mose und Jesu.“ Allerdings sei er in Medina jüdischen und christlichen Gruppen begegnet, „die ihre Religion stark identitär aufluden und politische Zugehörigkeit mit konfessioneller Zugehörigkeit gleichsetzten“. Dieser exklusive Wahrheitsanspruch werde vom Koran scharf zurückgewiesen. In diesem Kontext habe Abraham eine zentrale neue Funktion erhalten: „Er wird zur überkonfessionellen Identifikationsfigur des wahren Monotheismus erhoben.“ Auf diese Weise habe Mohammed auf die exklusivistischen Ansprüche reagiert. Und indem er eigene religiöse Rituale eingeführt habe: die Gebetsrichtung und die Pilgerfahrt nach Mekka oder den Fastenmonat Ramadan.

So hat sich laut Khorchide eine eigene islamische Identität entwickelt. Wer aber den Islam ernst nehme, müsse seine Quellen ernst nehmen. „Und das bedeutet im Konkreten, jüdisches Leben nicht nur zu dulden, sondern es als Teil der eigenen religiösen Existenz zu schützen und zu fördern.“

Buch-Cover: Ohne Judentum kein Islam – Die verleugnete Quelle

Info

Mouhanad Khorchide, Ohne Judentum kein Islam – Die verleugnete Quelle, Verlag Herder, Freiburg 2025, 224 Seiten, ISBN: 978-3-451-03606-4, 22 Euro.