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Weihnachtstitel:Gott ist im Schutt

Unglaublich - was die Christen an Weihnachten bekennen! Kann man das wirklich glauben, was da in Texten und Liedern bekundet wird?
Das Kunstwerk 'Krippe im Schutt' zeigt das Baby in einer Schubkarre mit Schutt.
Datum:
21. Dez. 2025
Von:
Felix Genn

Natürlich ist Weihnachten für viele ein großartiges Fest, das sie mit Gemeinschaft, Familie, Geschenken, gutem Essen, angenehmen und ruhigen Tagen (die dann doch manchmal zum Stress der vielen Besuche ausarten können) verbinden. Und es sind nicht wenige, die das Jahr hindurch von sich sehr deutlich markieren, dass sie mit Kirche und Glaube nichts oder kaum zu tun haben, die aber trotzdem aus voller Kehle singen, dass in dieser Nacht die rettende Stunde geschlagen hat, weil Christus in Seiner Geburt diese rettende Stunde ist. Wer sich aber dem Glaubensbekenntnis etwas kritisch nähert, der muss zunächst, auch wenn es ihm noch so bekannt vorkommt, stutzig werden: Wieso soll in diesem Kind, in dieser Geburt die rettende Stunde der Menschheit geschlagen haben, wo bis zur Stunde in vielen nationalen, internationalen, familiären und staatlichen Zusammenhängen deutlich wird, wie wenig rettende Stunden es gibt?!

Aber schauen wir uns diese Botschaft genauer an: In vielen Gesprächen und Diskussionen, in denen es bisweilen über Gott und die Welt gehen kann, ist festzustellen, dass viele Menschen mit Religion wenig zu tun haben, aber doch irgendwie annehmen, es könnte einen Gott geben. Obwohl wir das gar nicht im Begriff erfassen können, machen wir uns doch einen Begriff davon. Es muss sich um eine Wirklichkeit handeln, die voller Macht ist, die weit über uns steht, aber mit der wir im normalen Leben nicht rechnen. Die Christen aber behaupten, dass diese absolute Macht in einem Kind, in einem Menschen ansichtig und greifbar geworden ist, und es so möglich gemacht wird, sich von Gott einen gewissen Begriff zu machen: Er ist also nicht der Ferne, der hinter einem Horizont verschwindet, sondern Er wird in einem Menschen greifbar, erlebbar. Streng gläubige Juden und Mohammedaner, die zu unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern zählen, können eine solche Aussage niemals annehmen. Es ist für sie sogar ehrverletzend im Blick auf Gottes Wirklichkeit selbst, von Ihm zu bekennen, Er habe sich in diesem Jesus von Nazareth gezeigt.

Auseinandersetzung um gottgleich und gottähnlich

Die Auseinandersetzung, die Jesus mit seinen frommen Gegnern führt, drehen sich genau um diesen Punkt: Wie kann Er behaupten, aus der Wirklichkeit Gottes zu kommen und so diese unbegreifliche Wirklichkeit kundzutun, indem man in Ihm, diesem Mann aus Nazareth, Gott ansieht. Auch Jahrhunderte nach der Erfahrung von glaubwürdigen Zeugen, die Ihn als Auferstandenen erlebt haben, versuchten Menschen immer wieder mit diesem spannungsvollen Bekenntnis auch gedanklich klarzukommen. Sie billigten diesem Jesus durchaus eine übernatürliche Größe zu, aber dass Er wirklich von Gott so kommt, dass man Ihn als gottgleich und nicht nur gottähnlich bezeichnen kann, das ging doch zu weit.

Diese Auseinandersetzungen haben vor 1700 Jahren zu einem ersten großen Konzil geführt, das Kaiser Konstantin in dem heute türkischen Ort Iznik einberufen hat, um diese Frage zu klären: Ist Er gottgleich oder gottähnlich? Im griechischen Begriff handelt es sich nur um einen einzigen Buchstaben, ein Jota – wir würden sagen: ein kleines J.

Papst Leo hat kürzlich bei seinem Besuch an diesem Ort zusammen mit dem Patriarchen von Konstantinopel das Bekenntnis von damals wiederholt und bekräftigt, ein Bekenntnis, das für alle Christinnen und Christen bindend ist: Dieser Jesus ist tatsächlich wahrer Gott und wahrer Mensch, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott. Gott ist also nicht einfach eine überdimensionale Größe, die gedanklich niemals gefasst werden kann, sondern Gott wird tatsächlich Mensch, und dieser Jesus von Nazareth ist Gott und Mensch zugleich.

Natürlich werden auch wir das nicht begrifflich letzten Endes fassen können, aber das Zeugnis, das diejenigen von Ihm gegeben haben, die Ihn unmittelbar erlebt und die für diese Wirklichkeit sogar ihr Leben gelassen haben, hat sich trotz aller Widersprüche und Widerstände im Laufe der Jahrhunderte durchgesetzt.

Hier ist etwas für uns Fundamentales geschehen 

Für mich sind die vielen Bräuche, Lieder, Gewohnheiten, die sich um das Weihnachtsfest ranken, ein deutliches Zeichen dafür, dass Menschen in der Tiefe spüren: Hier ist etwas für uns Menschen Fundamentales geschehen und angesprochen. Dass Gott sich nicht zu schade ist, einer von uns zu werden, das hat etwas emotional Berührendes. Das Weihnachtslied schlechthin, „Stille Nacht, heilige Nacht“, zeigt mit seinem Text und seiner Melodie: Hier geht es nicht um etwas Abstraktes, sondern um etwas, das den Menschen unmittelbar im Herzen berühren will und kann.

Eines der beliebtesten Motive, um diesem Geheimnis Ausdruck zu verleihen, besteht in der Krippe. Seit Jahrhunderten haben Menschen die Krippe, von der im Weihnachtsevangelium als Geburtsort Jesu die Rede ist, künstlerisch gestaltet und auf vielfältige Weise fantasievoll angereichert, oder auch, wie es in dem Bild zum Ausdruck kommt, das wir als Titelbild sehen, hintergründig entfremdet.

In der Nähe von Münster, in dem Wallfahrtsort Telgte, wird seit vielen Jahren über Wochen hinweg eine Krippenausstellung veranstaltet, zu der jedes Jahr sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Erwachsene eingeladen werden, ihre eigenen Krippen zu gestalten. Eine Jury beurteilt diese Darstellungen und wählt bestimmte aus, die mit einem Preis versehen werden. Als Bischof von Münster habe ich über die Jahre hin viele solcher Darstellungen mit Preisen auszeichnen dürfen. In diesem Jahr fällt mir ein Motiv besonders ins Auge, das die Botschaft von Weihnachten verfremdet, aber im Kern trifft:

Eine Künstlerin, Simone Thieringer, hat eine Schubkarre mit Schutt in den Raum gestellt und in eben diese Schubkarre ein kleines Baby, das auf einer Pusteblume liegt, hineingelegt. Die Botschaft ist eindeutig: Gott wird so Mensch, dass er in unseren Schutt, in alles Ruinöse, in alles, was zusammenbricht, hineinkommen kann, und in der Gestalt des Kindes zeigt Er, dass Er mächtiger bleibt als all das, was an zerstörerischen Kräften unser Leben bedroht. Das ist nicht einfach Pustekuchen, sondern das kann sogar in einer vergänglichen Pflanze noch stärker zum Tragen kommen: Gott wählt sich das wirklich Schwache als Stätte, als Ruhe-Statt, um das Wort wahr werden zu lassen, das ich im Alten Testament finde, wo die Göttliche Weisheit sagt: „Meine Freude war es, bei den Menschen zu sein“ (Spr 8, 31).

Angesichts der bedrohlichen Situation in unserer Welt, angesichts von Herrschenden, die mit ihren Waffen und Drohnen über Leichen von Menschen gehen, wagen Christinnen und Christen, zu diesem Jesus zu stehen und in Ihm zu bekennen: Dass dieser Mensch, der damals geboren wurde, uns in Seiner Geburt die rettende Stunde der Welt gebracht hat. Das zu glauben, ist kein Trotz, sondern ein Dennoch: Dennoch glauben wir, dass Er bei uns Seinen Platz haben will und kann, dass Er uns aber dazu auffordert, aus dieser Botschaft keinen Pustekuchen zu machen, sondern bis in die kleinsten Fasern des Alltags hinein, der gewaltlosen, entwaffneten und entwaffnenden Liebe, wie Papst Leo in seiner ersten Ansprache gesagt hat, Raum zu geben, damit es im Leben vieler rettende Stunden gibt. Das ist in der Tat keine Illusion, sondern das befreiende Dennoch: Es sieht schlimm in unserer Welt aus, dennoch geben wir es nicht auf, der Göttlichen Liebe mehr zuzutrauen – in allem Schutt, in allem Gestrüpp, bei allen Gegenbildern. Man kann das auch ganz schlicht sagen, wie zum Beispiel der Dichter Matthias Claudius in einem Brief an seinen Sohn: „Halte Dich zu gut, Böses zu tun.“ Und: Gott als Kind im Müll – kann man dann noch die Worte des amerikanischen Präsidenten ertragen, der Menschen aus Somalia als Müll bezeichnet?

Info

Unser Autor Dr. Felix Genn ist emeritierter Bischof von Münster. Er stammt aus dem Bistum Trier.