Foto: Andreas Kossmann
Der Kunstmaler Andreas Bruchhäuser stellt den auferstandenen Herrn dar. „Denn ihr wisst weder Zeit noch Stunde“, hat er sein Werk (Ausschnitt) genannt (2011).
Christus im Pilgerkleid seiner Kirche
Von: Georg Bätzing | 8. April 2012
Als wolle er mit seinen weit ausgebreiteten Armen die ganze Welt umfassen und so unserer Bitte zuvorkommen, die während der Heilig-Rock-Wallfahrt 2012 immer und immer wieder zu hören sein wird: „und führe zusammen, was getrennt ist“ – so stellt der Kunstmaler Andreas Bruchhäuser den auferstandenen Herrn dar.
Die Arbeit ist Teil des Projektes einer Künstlergruppe aus dem Koblenzer Stadtteil Ehrenbreitstein, das eine Annäherung an den Heiligen Rock versucht. Doch hier trägt der Auferstandene gar kein Gewand. Er ist in ein Kleid aus Licht gehüllt (Ps 104, 2). Menschliche Kleider braucht er nicht mehr; er hat sie abgelegt.
Nachdem die Jünger und viele Menschen sich beim Einzug Jesu in Jerusalem ihrer Kleider entledigten, um ihm als König die Ehre zu geben (Mt 21, 7-8), ist es beim Letzten Abendmahl Jesus selbst, der sein Gewand ablegt, um seinen Jüngern im Zeichen der Fußwaschung ein Beispiel demütiger Liebe zu geben (Joh 13, 4). Wenige Stunden später hängen ihm die Soldaten den purpurroten Spottmantel um und verhöhnen ihn (Joh 19, 2). Bald darauf wird er nackt ans Kreuz geschlagen. Die Soldaten nehmen seine Kleider und machen vier Teile daraus, für jeden Soldaten einen. Doch sein Untergewand, das von oben her ganz durchgewebt und ohne Naht ist, zerstückeln sie nicht.
Der Heilige Rock bleibt unzerteilt bewahrt (Joh 19, 23-24). Selbst aus diesem demütigenden Akt scheint die einzigartige Würde und Hoheit dessen auf, der von sich gesagt hat: „Niemand entreißt mir mein Leben, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin“ (Joh 10, 18). Das Ablegen der Kleider wird im Passionsgeschehen zum Zeichen der Hingabe Jesu aus Liebe bis zum Äußersten: „er entäußerte sich … er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2, 7-8), so fasst es das uralte Tauflied zusammen, das Paulus uns im Philipperbrief überliefert hat.
Der Heilige Rock wird zum Lehrstück
Die Tunika Christi, die in wenigen Tagen als ehrwürdiges Sinnbild Jesu im Trierer Dom gezeigt wird, ist übrig geblieben. Was ihm genommen wurde, das ist unser Schatz. Sie erinnert daran, welchen Preis unser Erlöser für unsere Freiheit zu zahlen bereit war. Und wer ihm im Leben nachfolgen will, dem wird der Heilige Rock zum Lehrstück: „Man wird nicht durch Hinzufügen heilig, sondern durch Abziehen“, schreibt der amerikanische Franziskaner Richard Rohr (* 1943), „durch das Ablegen seiner Illusionen, das Loslassen seiner Fassaden, das Freilegen seines falschen Ichs, das Aufbrechen seines Herzens und die Offenheit und das Verständnis für andere. Und bei alldem nimmt man sein eigenes Ich nicht allzu wichtig. Wir sind gewissermaßen auf der völlig falschen Spur: Wir bemühen uns um einen Aufstieg, während Jesus absteigt.“
Insofern ist der Heilige Rock eine Passionsreliquie und zugleich ein Hinweis auf die ganz neue Gestalt des Auferstandenen. Man darf ja nicht annehmen, so hat Papst Benedikt XVI. vor vielen Jahren einmal erläutert, „dass Christus, ähnlich wie Lazarus, noch einmal in die Geschichte und in ein irdisches Leben zurückgekehrt ist, aus dem er dann erst nach 40 Tagen in den Himmel aufgefahren wäre. Er ist vielmehr aus dem Tode heraus sogleich in das endgültige neue Dasein dessen, der nicht mehr stirbt und nicht mehr den Bedingungen dieser Geschichte zugehört, übergegangen …
Das bedeutet, dass er auch nicht mehr wie ein Mensch dieser unserer irdischen Geschichte sichtbar gewesen ist, sondern dass er nur denen sichtbar wurde, denen er sich zeigen wollte.“ Das wird in den Erscheinungsberichten durch eine eigentümliche Gebrochenheit deutlich. Die Zeugen und Zeuginnen der Auferstehung erfahren Jesus als denselben, mit dem sie im Leben zu tun hatten; sogar die Wundmale des Gekreuzigten bleiben sichtbar und berührbar. Und doch ist er ganz anders. Sie erkennen ihn erst, wenn er ihnen das Herz öffnet und wenn sie sich im Glauben für ihn geöffnet haben.
Leibhaft, doch transparent für die Lichtfülle
Das Osterbild von Andreas Bruchhäuser versteht sich im guten Sinn als Annäherung an die Gestalt und Dynamik des auferstandenen Christus: leibhaft, doch transparent für die Lichtfülle Gottes; gut gekleidet, ohne auf materiellen Stoff und zeitbedingte Mode angewiesen zu sein; sichtbar, aber gelöst von den Bedingungen, die Zeit und Raum vorgeben.
Mir kommt das Gebet aus dem Epheserbrief in den Sinn, mit dem der Apostel für seine Gemeinde den Geist der Weisheit und Offenbarung erfleht, damit sie Jesus Christus und ihre eigene Würde ganz erkennt: „Alles hat er (Gott) ihm zu Füßen gelegt und ihn, der als Haupt alles überragt, über die Kirche gesetzt. Sie ist sein Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht“ (Eph 1, 22-23).
Die Geste der Sammlung, mit der Christus auf diesem Gemälde dargestellt wird, hat die Kirche im Sinn. Sie will er sammeln als „Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit“. Obwohl sie „tatsächlich nicht alle Menschen umfasst und gar oft als kleine Herde erscheint“, ist sie „für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils“, heißt es in der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils (Lumen Gentium 9).
Die Wallfahrt als Anstoß zur Neuausrichtung
Die Wallfahrt zum Gewand Jesu Christi ist für mich persönlich nicht zuletzt ein Anstoß zur Neuausrichtung der Kirche in schwierigen Zeiten.
Da viele irritiert Vertrauen verloren haben und immer mehr Getaufte die gelebte Verbindung zur Gemeinde aufkündigen, lädt die Trierer Christuswallfahrt zu einem Pilgerweg der Selbstvergewisserung ein. In der Nähe Jesu und von ihm zusammengeführt lernen wir verstehen, was wir sind und wie wir es glaubhaft sein können: sein Leib – geeint durch ihn, unsern Herrn; mit den Nöten und Hoffnungen der Menschen verbunden; lebendig, nicht erstarrt; missionarisch, nicht in ängstlichem Rückzug gefangen; offen und einladend, weil wir uns freuen am Herrn.
Wie wohltuend wird es sein, wenn neben dem Kleid, das Jesus hinterlassen hat, auch das Gewand Kontur annimmt und sichtbar wird, das Maria Luise Thurmair mitten im Elend des Zweiten Weltkriegs 1941 mit den bekannten Worten besungen hat: „Der Geist des Herrn durchweht die Welt gewaltig und unbändig; wohin sein Feueratem fällt, wird Gottes Reich lebendig. Da schreitet Christus durch die Zeit in seiner Kirche Pilgerkleid, Gott lobend: Halleluja.“
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