Immer wieder lesen wir als Schlagwort in den Anmeldungen: "Meine Tochter ritzt sich." Aus Schulen hören wir, das "Ritzen" breite sich aus, gleich mehrere Schüler/innen in einigen Klassen seien betroffen. Als Beraterinnen und Berater haben wir gelernt, dass selbstverletzendes Verhalten in der Regel Ausdruck einer gravierenden psychischen Störung oder Belastung ist. Genau genommen ist es die Borderline-Störung, die einem in den Sinn kommt, wenn man hört, jemand verletze sich regelmäßig selbst.
Foto: KNA
Jugendliche fügen sich selber – durch kleine Schnitte – Schmerzen zu. Was ist das für ein Phänomen, dieses so genannte „Ritzen“?
Kleine Schnitte, großer Kummer
Von: Caroline Gräßer | 27. Juli 2014
"Ritzen" ist ein Thema, mit dem immer mehr Eltern und Lehrer zu tun bekommen. Was aber bedeutet das, was hat es mit selbstverletzendem Verhalten von Kindern auf sich? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die "Paulinus"-Lebensberatung.
Immer wieder lesen wir als Schlagwort in den Anmeldungen: "Meine Tochter ritzt sich." Aus Schulen hören wir, das "Ritzen" breite sich aus, gleich mehrere Schüler/innen in einigen Klassen seien betroffen. Als Beraterinnen und Berater haben wir gelernt, dass selbstverletzendes Verhalten in der Regel Ausdruck einer gravierenden psychischen Störung oder Belastung ist. Genau genommen ist es die Borderline-Störung, die einem in den Sinn kommt, wenn man hört, jemand verletze sich regelmäßig selbst.
Immer wieder lesen wir als Schlagwort in den Anmeldungen: "Meine Tochter ritzt sich." Aus Schulen hören wir, das "Ritzen" breite sich aus, gleich mehrere Schüler/innen in einigen Klassen seien betroffen. Als Beraterinnen und Berater haben wir gelernt, dass selbstverletzendes Verhalten in der Regel Ausdruck einer gravierenden psychischen Störung oder Belastung ist. Genau genommen ist es die Borderline-Störung, die einem in den Sinn kommt, wenn man hört, jemand verletze sich regelmäßig selbst.
In Anbetracht der Verbreitung, die dieses Verhalten mittlerweile gefunden hat, ist jedoch kaum vorstellbar, dass es sich bei all den Betroffenen um schwer gestörte und therapeutisch behandlungsbedürftige Kinder und Jugendliche handelt.
Schätzungen zufolge sind 1,5 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen von selbstverletzendem Verhalten betroffen. Immer häufiger wird ein erstes Auftreten bereits im Alter von elf oder zwölf Jahren beobachtet. Meist handelt es sich um ein Ritzen oder Schneiden mit Rasierklingen, Scherben, Messern oder ähnlichem an den Unterarmen.
Mädchen zeigen dieses Verhalten wesentlich häufiger als Jungen. Wenn das Ritzen eine Art "Trend" ist, ist es für Mädchen dann das, was das "Komasaufen" für Jungen ist? Auch das "Komasaufen" ist eindeutig ein selbst-verletzendes Verhalten. Allerdings scheint es mehr eine Art Mutprobe darzustellen, bei der die Verletzung, die Alkoholvergiftung, in Kauf genommen wird. Beim Ritzen dagegen ist die Verletzung das, was gesucht wird.
Beide Arten von Problemverhalten wirken auf das familiäre Umfeld alarmierend. Bei den Mädchen liegt dem Verhalten meist keine schwere Störung im Sinne einer Borderline-Persönlichkeitsstörung oder Posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde. Unsere Klientinnen sind jedoch eindeutig belastet, überfordert und an den Grenzen ihrer Möglichkeiten, in Bezug auf die Bewältigung von Problemen. Nicht selten handelt es sich um familiäre Konflikte. Die Eltern haben sich getrennt und merken nicht, dass ihr Kind sich zunehmend zerrissen fühlt im Krieg der Bezugspersonen.
Oder es ist die Sehnsucht nach dem unbekannten Vater, die die Mutter nicht nachvollziehen und darum auch keine Verständnis für den Wunsch ihrer Tochter aufbringen kann, den Vater ausfindig zu machen und kennen zu lernen. Manchmal haben die Probleme auch nichts mit der Familie zu tun, sondern es ist ein heftiger Liebeskummer, ein Streit mit der besten Freundin, das Ausgegrenztwerden aus der Clique, weshalb Jugendliche nicht mehr weiter wissen. Wenn dann mit einer Rasierklinge Schnitte in den Unterarm gesetzt werden, geht es den Mädchen meist darum, seelischen Schmerz durch die körperliche Verletzung nicht mehr spüren zu müssen, subjektiv unerträgliche Anspannung vorübergehend los zu werden. Wird dieses Ziel damit auch nur kurzfristig erreicht, kommt etwas in Gang, was lerntheoretisch "Positive Verstärkung" genannt wird. Folgt auf ein Verhalten eine positive Erfahrung, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten wiederholt wird. Auch wenn das Gros das selbstverletzende Verhalten nicht aufgrund schwerer Traumatisierungen vollzieht, gibt es doch einige Parallelen zu den Hintergründen, die sich in der Fachliteratur zu diesem Thema finden.
Ähnlich wie den schwer traumatisierten Frauen und Mädchen scheint es auch unseren Klientinnen an Vertrauen und Zuversicht zu sich selbst und anderen zu fehlen. Zum mangelnden Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen und sie somit auf eine "gesündere" Art und Weise zum Ausdruck zu bringen, kommt die fehlende Zuversicht, im familiären Umfeld damit auf Verständnis zu stoßen und wirkungsvolle Hilfe zu erfahren. Genau das ist es aber, was sie brauchen und das ist die Chance, die es zu ergreifen gilt, wenn Eltern durch das "zufällige" Sichtbarwerden der Narben mit der Nase darauf gestoßen werden, dass etwas nicht stimmt.
Aufgabe der Beratung ist es dann, Eltern und Jugendliche dabei zu unterstützen, (wieder) Vertrauen zueinander aufzubauen. Beide Seiten müssen hierzu verstehen, was die Funktion des selbstverletzenden Verhaltens ist, welche Ziele damit aus der Perspektive des Kindes erreicht werden sollen, um dann gemeinsam nach alternativen Bewältigungsstrategien zu suchen. Dies erfordert in der Beratungspraxis einen längeren Prozess. Was sind das für Gefühle, die mit dem Ritzen verdrängt werden sollen, was sind die Auslösesituationen, die dem Ritzen vorangehen, was sind die großen Themen, die ein Kind oder eine ganze Familie belasten? Das wichtigste ist, innerhalb der Familie die Kommunikation über all diese Fragen in Gang zu bringen. Denn erst, wenn ein Kind lernt: "Ich kann das, was mich belastet, auf andere Art und Weise ausdrücken und hiermit auch jemanden erreichen", wird es die bisherige Bewältigungsstrategie Ritzen aufgeben können.
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Lebensberatung
Insgesamt gibt es – von Ahrweiler bis Wittlich – 20 Lebensberatungsstellen des Bistums Trier, an die sich jede und jeder Ratsuchende wenden kann.
Der zuständige Arbeitsbereich im Generalvikariat wird geleitet von Dr. Andreas Zimmer. Kontaktadresse: Lebensberatung im Bistum Trier, Bischöfliches Generalvikariat, Hinter dem Dom 6, 54290 Trier, Telefon (06 51) 71 05-2 79, E-Mail beratung@bgv-trier.de, Internet www.lebensberatung.info.
Viele weitere Beiträge der Lebensberatung sind in der "Paulinus"-Rubrik „Lebensberatung im Paulinus“ zu finden.
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