Foto: privat
Der Trierer Bistumspriester Stephan Wahl lebt in Jerusalem.
„Erwarte von mir keine frommen Sprüche“
Von: Rolf Lorig | 8. Januar 2023
Nach der Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal schrieb Stephan Wahl einen Ahr-psalm. Er ist in seinem Buch zu finden. In „Gesellschaft“ weiterer Psalme, in denen es um Verzweiflung, aber auch Hoffnung geht.
Psalmen kennt man aus der Liturgie. Es sind kurze, mitunter poetisch-fromme Texte. Ihren Ursprung haben sie im Juden- und dem frühen Christentum. Kann ein Psalm einen aktuellen Bezug zur Neuzeit haben? Mit seinem neuen Buch liefert Stephan Wahl den Beweis dafür. Der Titel mutet trotzig-provokant an: „Erwarte von mir keine frommen Sprüche“ – „Ungeschminkte Psalmen“.
Wir erinnern uns: Stephan Wahl, das war doch der, der ziemlich genau zwölf Jahre lang immer samstags vor dem Spätfilm mit dem „Wort zum Sonntag“ in unseren Wohnzimmern zu Gast war. Parallel dazu war der von Papst Benedikt 2006 ernannte Monsignore Leiter der Hauptabteilung „Kommunikation, Bildung, Medien und sozialpastorale Dienste“ im Bischöflichen Generalvikariat und etwas später Direktor des Strategiebereiches „Medien und Kommunikation“.
Seit 2018 lebt Wahl im Auftrag des Bischofs von Trier und des Lateinischen Patriarchen von Jerusalem als Seelsorger und Autor in Jerusalem. Soweit zur Person des Autors, der 1988 in Trier zum Priester geweiht wurde und im Laufe seiner Arbeit die unterschiedlichsten Facetten des Lebens kennenlernte. Seit er in Jerusalem lebt und arbeitet, ist es etwas ruhiger um ihn geworden.
„Weggespült das, was ich mein Leben nannte“
Stephan Wahl, Erwarte von mir keine frommen Sprüche, 107 Seiten, ISBN 978-3-429-05801-2, Echter-Verlag, Würzburg 2022, Preis: 14,90 Euro.
Aber weg von der alten Heimat war er nie. Als im Juli 2021 die Flutkatastrophe das Ahrtal verwüstete, schrieb der in Remagen an der Ahrmündung geborene Stephan Wahl den Ahrpsalm, der vielen Betroffenen aus der Seele sprach: „Es ist kalt in mir, wie gestorben sind alle Gefühle, starr blicken meine Augen auf meine zerbrochene Welt. Der Bach, den ich von Kind an liebte, … zum todbringenden Ungeheuer wurde er, seine gefräßigen Fluten verschlangen ohne Erbarmen. Alles wurde mir genommen. Alles! Weggespült das, was ich mein Leben nannte.“
Das ist an dieser Stelle nur ein kleiner Auszug aus diesem Psalm, der über die Strecke von 148 Zeilen größte Not und Verzweiflung, aber auch unerschütterliche Hoffnung und tiefen Glauben an Gott widerspiegelt.
Lektüre, die man wie die übrigen Psalmen auf sich wirken lassen muss. Die zum Nachdenken anregt, die eigene Situation und Gedanken spiegelt und so zwingt, sich damit auseinanderzusetzen. So zerbrechlich und verletzlich der Mensch auch ist, er steht immer wieder auf, sucht den neuen Anfang. So wie in dem Psalm „Kaputt geschafft“, der gleichzeitig Kampfgeist und tiefe Erschöpfung der Menschen beim Wiederaufbau spiegelt.
Und auch die Wut, die tief in ihnen schlummert, weil Gott das zugelassen hat: „Erwarte von mir keine frommen Sprüche, Ewiger, dafür lasse ich Dich in Ruhe mit meiner Wut. Vorläufig!“
Doch es ist nicht nur die Flutkatastrophe, die Wahl zu den rund 30 Psalmen motivierte. Hier finden sich alle Themen, die die Menschen und die Kirche umtreiben.
In „Es ist Krieg“ gibt er den Menschen eine Stimme, die dem Wahnwitz der skrupellosen Kriegstreiber folgen müssen, fordert den Ewigen auf, den Tyrannen das Handwerk zu legen. Hart geht er im Psalm „Missbrauch“ mit seinen Mitbrüdern ins Gericht, lässt dabei seiner Wut über das Ungeheuerliche freien Lauf.
- Einen Kommentar schreiben