Ein dezentrales Gedenkprojekt in der Wittlicher Innenstadt haben Schüler anlässlich „80 Jahre Pogromnacht“ geschaffen.
„Wir wollen mit dem Projekt an die Menschen
erinnern, die hier zuhause waren – und die alles verloren haben, zuletzt
ihr Leben“, sagt Marianne Bühler vom Arbeitskreis Jüdische Gemeinde.
Auch Bürgermeister Joachim Rodenkirch erinnert daran, „wie schnell es
gehen kann“ mit dem Wandel von einer offenen zu einer geschlossenen
Gesellschaft. Noch 1928 lebten in Wittlich 280 jüdische Bürgerinnen und
Bürger, zum Teil mit einer 200-jährigen Familiengeschichte.
Das Projekt – das sind acht kleine Kunstinstallationen von
Schülerinnen und Schülern der letztjährigen 10b des
Peter-Wust-Gymnasiums Wittlich. Zusammen mit ihrer Kunstpädagogin Liane
Deffert haben die 15- bis 16-Jährigen acht verschiedene Objekte oder
kleine Objektgruppen ausgewählt und zu plastischen Installationen
arrangiert – die alle etwas verbindet.
Es seien die Fragen der bedrängten jüdischen Familien in den
oft hastigen Momenten der Flucht: „Was nehme ich mit, was lasse ich
zurück? Was ist vielleicht in der Eile liegengeblieben?“, erläutert die
Schülerin Katharina Lukas. Darüber hinaus signalisiere die einheitliche
blaue Einfärbung eine Zusammengehörigkeit der Objekte, die in der
Innenstadt verteilt aufgestellt wurden. Sie sollen die Passanten
„sinnlich und emotional ansprechen“, wie Katharina und ihre Lehrerin zur
künstlerischen Umsetzung erklären.
Die erste Station des als Rundgang konzipierten, dezentralen
Mahnmals ist eine Stele mit einem blauen Rucksack auf dem
Ottensteinplatz. „Welche Gegenstände würden Sie mitnehmen?“, formuliert
der Schüler Stephen Siegler die Frage, die aus der Skulptur zu dem
Betrachter spricht. Seine Mitschülerin Jasmin Hartmann trägt ihre selbst
verfasste, beklemmende und zugleich berührende Geschichte über eine
kleine Familie vor, die von zu Hause fliehen muss.
Ein paar Schritte weiter, in der Karrstraße, verweist ihre
Mitschülerin Eva Eiserloh an der dortigen Skulptur, die drei dicke
Bücher zeigt, auf etwas anderes, das vermutlich „zurückgelassen“ wurde.
Bewusst gewählt sei der Ort dieses Objektes – in unmittelbarer Nähe von
zwei ehemaligen Schulen, der St.-Markus-Volksschule und der jüdischen
Schule in der Kirchstraße, erläutert Marianne Bühler.
„Hier haben sich die Kinder viel aufgehalten, und es gab ein
Miteinander und einen Austausch zwischen den Schulen“, erklärt sie den
Kontext, der auch durch Beschriftungen auf jeder Stele hergestellt wird.
An dem blauen Koffer auf dem Marktplatz wiederum, dessen
Geschäfte in den 1930er Jahren vielfach von jüdischen Familien betrieben
wurden, ist aus einer amtlichen Anweisung zur Deportation von 1941 zu
lesen: „Mitgenommen werden kann: Pro Person ein Koffer mit Gepäck bis zu
50 kg; Bettzeug mit Decken; vollständige Bekleidung, soweit sie am
Körper getragen werden kann.“
Lina Möhnen erklärt am Platz an der Lieser, weshalb die dortige
Plastik einen Fotoapparat zeigt. „Er steht für die Fotos, die
zurückgelassen werden müssen und nur im Geiste mitgenommen werden, Fotos
und Erinnerungen von guten Zeiten.“
Der Rundgang zu den acht „Denkanstößen“ endet vor der
ehemaligen Synagoge in der Himmeroder Straße. Hier sind einige Schlüssel
zu einer kleinen Installation arrangiert – deren Texttafel den
Symbolgehalt erläutert: „Vor 80 Jahren AUSGESPERRT aus Schulen, aus
Vereinen, aus gesellschaftlichem Leben. Dann EINGESPERRT in
Eisenbahnwaggons, in Todeslagern, in Gaskammern“.
Die Befürchtung, dass auch die Mahnmale der Schüler Ziel von
Vandalismus werden könnten, habe sich leider sehr schnell bewahrheitet,
wie Werner Bühler vom Arbeitskreis Jüdische Gemeinde einige Tage später
berichtet. „Ich bin traurig, wütend, ratlos. Schon nach wenigen Tagen
wurden diese Objekte mehrfach beschädigt.“