Seit sechs Jahren herrscht im Osten der Ukraine Krieg. Die Ansätze für Frieden haben viele Gesichter. Eine Rundreise durch das Land, das dieses Jahr im Mittelpunkt der Renovabis-Pfingstaktion steht.
In einer Ecke rattern die Nähmaschinen, in der anderen zischt der Dampf der Bügeleisen, als Natalia Mezentseva die Tür zur Schneiderei öffnet. Acht Arbeitsplätze für Näherinnen stehen hier bereit. Die 52-Jährige durchquert den Raum und öffnet auf der anderen Seite eine weitere Tür. Hier liegt ein Duft nach Suppe und Kartoffeln in der Luft, zuweilen vermischt mit einem anderen, strengen Geruch. Natalia Mezentseva kommt an den Tisch, um den sich ein halbes Dutzend Männer gesetzt haben, und sagt „pryjemnoho apetytu“. Das ist Ukrainisch für „Guten Appetit“. Und sie wiederholt es auf Russisch „prijatnogo appetita“. Sie wechselt kurz ein paar Worte mit den Männern, dann steigt sie in ihr Auto. Auf einer zweispurigen Straße fährt sie mitten durch Nikopol.
Die Stadt liegt im Süden der Ukraine, am Kachowkaer Stausee, der vom Dnepr gespeist wird. Zu Sowjetzeiten lebten hier bis zu 200 000 Menschen, die Stadt florierte durch ihr Manganvorkommen. Heute sind es offiziellen Statistiken zufolge 120 000 Einwohner.
Natalia Mezentseva sagt, es seien gar weniger als 90 000. Das Auto rumpelt, die Straße hat viele Schlaglöcher. Es geht in den Norden, in den Stadtteil Severny. Unterwegs erzählt die 52-Jährige ihre Geschichte – keine einfache. Fast 20 Jahre lang war sie alkohol- und drogenabhängig. „Ich war fast vollständig zerstört“, sagt sie. Ihr Mann starb an Tuberkulose, der damals noch kleine Sohn wurde ihr vom ukrainischen Jugendamt weggenommen, sie selbst landete im Gefängnis. Die Drogen machten sie krank, ihr linker Arm wurde amputiert.
Aus dem Glauben heraus kriegte sie die Kurve, wie sie sagt. Sie engagierte sich in Sozialprojekten, um anderen Abhängigen aus ihrer Krankheit zu helfen. Vor knapp zehn Jahren gründete sie mit Freunden und Kollegen „Nove zhyttja“ – „Neues Leben“: Eine kleine Sozialorganisation in einer alten Baracke auf dem Bahnhofsgelände. Hier gibt es die Schneiderei, in der sich arbeitslose Frauen zur Näherin um- oder weiterbilden lassen können. In die Suppenküche kommen täglich vor allem obdachlose Männer. In einem Spiel- und Klassenzimmer bieten Ehrenamtliche Kurse für Kinder aus sozial schwachen Familien an.
In einem Wohngebiet am Rande von Nikopol kommt das Auto zu stehen, Natalia zeigt ein weiteres Projekt von „Neues Leben“: Ein einfacher, mit grünen Latten bedeckter Bungalow, in den drei Räumen reihen sich die Betten aneinander. Hier wohnen bis zu acht Mütter mit ihren Kindern. „Gekauft haben wir das Haus 2012, seitdem bietet es für Frauen in Krisensituationen einen Schutzraum“, erzählt Natalia Mezentseva. Ein Frauenhaus würde man in Deutschland sagen. Bewohnt wird es zurzeit von fünf Müttern, darunter Tatyana Yorzh. Sie ist seit 2015 hier. „Ich war damals im achten Monat schwanger, mein Freund kam ins Gefängnis und unser Haus ist niedergebrannt. Natascha hat mich dann aufgenommen“, sagt die heute 35-Jährige unter Tränen. „Ich muss noch erwähnen, dass ich alkoholabhängig war.“
Hier im Frauenhaus von „Neues Leben“ hat sie ihren Sohn Pasha zur Welt gebracht, hier fand sie einen Weg aus der Abhängigkeit, hier begann sie, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen, sagt die junge Mutter. „Man glaubte an mich.“ Chancen ermöglichen – darin sieht Natalia Mezentseva die Aufgabe der kleinen Sozialeinrichtung „Neues Leben“. In der Ukraine herrsche zwar im Osten ein bewaffneter Konflikt, aber hier im Zentrum des Landes gehe es darum, eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Daher nahm sie auch einem Projekt teil, das vom katholischen Hilfswerk Renovabis unterstützten wird. Das Projekt heißt „Dialog in Aktion“ und versucht, die zivilgesellschaftlichen Strukturen zu stärken. „Das ist die beste Vorbereitung für den Frieden“, ist sich Natalia Mezentseva sicher.
Den Frieden im Osten der Ukraine herstellen können die Kirchen wohl kaum, sagt Myroslaw Frankovych Marynowytsch, rund 1000 Kilometer weiter im Nordwesten. Der heute 71-Jährige ist eine Galionsfigur des antisowjetischen Widerstands zu Sowjetzeiten. Ende der 1970er Jahre wurde er von den Moskauer Machthabern für seinen Einsatz für die Menschenrechte zu sieben Jahren Zwangsarbeit und fünf Jahren Verbannung verurteilt. Nach der Unabhängigkeit begründete er die heutige Katholische Universität im westukrainischen Lemberg mit. Marynowytsch sieht die Rolle der Kirchen in der „Solidarität mit den Menschen, die das alles auf eine andere Dimension stellt.“ Und fügt hinzu: „die des Evangeliums“. Er lobt die Maßnahmen, die insbesondere die katholische Kirche gleich nach dem Beginn des Konflikts 2014 einleitete, etwa die Lieferung von Hilfsgütern an kriegsgeplagte Familien oder die Aufnahme von Flüchtlingen. „Wir können über den Krieg und theoretische Friedenspläne diskutieren“, sagt Marynowytsch. „Aber wenn die Menschen unter Beschuss sind und schnelle Hilfe benötigen, dann ist das am wichtigsten.“
Ein Großteil der humanitären Hilfe erreichte die Bewohner der Konfliktregion in der Ostukraine über Kramatorsk, nur wenige Kilometer von der Pufferzone entfernt. In der Nähe vom Zentralplatz, wo noch bis zu den Maidan-Protesten 2014 prominent eine Leninstatue stand, befindet sich die lokale Caritas. Ihr Direktor ist Vasili Ivaniuk. Der 52jährige griechisch-katholische Priester unterstreicht die Bedeutung von Caritas: „Barmherzigkeit. Danach arbeiten wir.“
Die Industriestadt Kramatorsk mit ihren 160 000 Einwohnern war selbst Schauplatz von Gefechten und zwischenzeitlich, im Frühjahr 2014, in der Gewalt von prorussischen Separatisten. Mittlerweile wurde Kramatorsk zum Verwaltungszentrum für den ukrainisch kontrollierten Teil des Oblast Donezk erklärt. Große Armeeeinheiten der Ukrainer sind hier stationiert.
Den vollständigen Artikel lesen Sie in der gedruckten Ausgabe des „Paulinus“ oder im
„Paulinus“-ePaper. Ein kostenloses und
unverbindliches dreiwöchiges Probeabo gibt es per E-Mail an
redaktion@paulinus.de.