Elf Türen muss Peter Jank auf dem Weg zu seinem Büro nicht
nur auf-, sondern vor allem wieder zuschließen. Der 65-Jährige ist
Gefängnisseelsorger.
Janks Büro liegt in einem der Haftgebäude der
Justizvollzugsanstalt (JVA) Ottweiler. Es ist in einem freundlichen Gelb
gestrichen, bequeme Sessel laden zum Gespräch ein. Dass man in einem Gefängnis ist,
kann man hier schon mal vergessen. Auch der Blick aus seinem Fenster erinnert
kaum daran – man sieht eine grüne Wiese. Lediglich die Gitter vor dem Fenster erinnern
an das Eingesperrtsein.
Dass Jank seit zehn Jahren im Gefängnis arbeitet, ist für
ihn nur konsequent. „Ich war immer in der Jugendarbeit tätig, aber der Anteil
an Brennpunktarbeit wurde immer größer. Und dann kam jetzt konsequenterweise
,der‘ soziale Brennpunkt, der Anders-Ort Gefängnis.“ Dabei wollte Jank ursprünglich Maschinenbau studieren. Wenn er
davon erzählt, wieso er dann doch Pastoralreferent geworden ist, entbehrt schon
der Anfang nicht einer gewissen Komik. „Es war in der Nacht von Fastnachtssonntag
auf Rosenmontag“, sagt er augenzwinkernd und grinst verschmitzt. „Wir hatten
eine Veranstaltung im Johanneshof Saarbrücken und saßen anschließend noch mit
dem Elferrat zusammen.“ Mit einem Priesteramtskandidaten, den er aus der
Jugendleiterrunde kannte, sprach er über seine Zukunftsvorstellungen. „Da hab
ich gesagt, ich könnte mir auch vorstellen, wie unser Kaplan am Gymnasium
Seelsorge zu machen, aber als Laie. Ich wollte kein Priester werden. Und dann
hat er gesagt, ‚Da gibt’s was ganz Neues. Pastoralreferent heißt das.‘ Und an
Aschermittwoch war ich dann immatrikuliert.“ Als angehender Pastoralreferent
war Jank einer der ersten seiner Art. „Ich war der 36. Laientheologe.“
Auch wenn man ihn danach fragt, was seine Arbeit im
Gefängnis von der Seelsorge in der Pfarrei unterscheidet, hat er erstmal eine humorvolle
Antwort parat. „Es gibt drei große Unterschiede: Wenn ich in der Gemeinde mit
jemandem nicht arbeiten wollte, konnte ich ihn theoretisch nach Hause schicken.
Das kann ich hier nicht. Zweitens, hier gehören die Mittel des körperlichen
Zwangs zum Repertoire. Das geht in der Gemeinde nicht. Und das Dritte ist:
Meine Gemeinde steht geschlossen hinter
mir.“ Ernsthaft betrachtet sei einer der größten Unterschiede, dass man im
Gefängnis fast nur Einzelseelsorge betreibe. Wenn doch etwas in der Gruppe
stattfindet, dann überwiegen meist die Sekundärinteressen der Inhaftierten. „Da
geht es eher darum, dass man zusammen Kaffee trinkt und sich zellenübergreifend
trifft – ob ich Singen oder Meditation anbiete, ist dann egal.“
Die meisten Gruppenangebote führe sein evangelischer Kollege
durch, zum Teil arbeiten auch Ehrenamtliche mit und bieten beispielsweise einen
Gebetskreis an. Kevin* (21, alle Namen mit * geändert) findet das super. „Das
war richtig gut. Man hat gebetet, geredet, gesungen und hatte irgendwie das
Gefühl, nicht mehr im Gefängnis zu sein.“ Für ihn sei es wichtig zu glauben. „Ich
hab im Neuen Testament gelesen, da stehen interessante Sachen drin.“ Kevin ist
auch Mitglied im Chor. Donnerstags und freitags bereitet Jank mit den freiwilligen
Sängern Lieder für den samstäglichen Gottesdienst vor.
Der Gottesdienst ist einer der Fixpunkte in der Arbeit des
Gefängnisseelsorgers. Er dauert allerdings meist nur etwa 25 Minuten. „Ich
predige über alles, nur nicht über fünf Minuten“, lacht Jank. Trotzdem enthält
die Feier alle wichtigen Elemente. „Ich halte mich an die Texte im Jahreskreis,
denn mir geht es darum, den Gefangenen klarzumachen, dass sie Teil einer
Gemeinschaft sind, die an diesem Wochenende in der ganzen Welt diese Texte
liest. Wir haben zwar einen Zaun außenrum, aber in dem Moment sind wir in der
Katholizität, der allgemeinen Verbindung, drin.“ Er bemühe sich, frei zu
predigen und Störungen durch die Gefangenen möglichst aufzugreifen. „Sie sind immer
überrascht, dass ich zwischendurch reinfauche und trotzdem die Kurve kriege.
Oder dass die Störung in die Predigt einfließt. Dann sag ich eben: ‚Was Sie gemacht
haben, hat Petrus auch gemacht, nämlich die Klappe aufgerissen zu einem
Zeitpunkt, wo er besser geschwiegen hätte.‘ Man muss ja nicht immer sagen
‚Halten Sie den Mund.‘“
Vom Gottesdienst abgesehen hat Peter Janks Tag allerdings nicht
viele planbare Elemente. „Das typische am Tagesablauf ist, dass er untypisch
ist.“ Meist plant er verschiedene Termine und lässt zwischendrin „ein bisschen
Luft“ für Unvorhergesehenes. An diesem Tag hat er als erstes ein Gespräch mit
Mesut* (22). Unter Drogeneinfluss hat dieser seine Freundin und „einen
Nebenbuhler“ mit einer Gabel verletzt. Mesut steht kurz davor, das Gefängnis zu
verlassen, weil er in eine Drogentherapie startet. Gerade hatte sein Großvater
einen Herzinfarkt und liegt im Koma. Seine Schwester hatte Jank gebeten, Mesut bis
kurz vor seiner Entlassung in die Therapie nichts davon zu sagen. „Das ist
Mist. Sie denken, dass ich bei schlechten Neuigkeiten direkt am Rad drehe. Aber
ich weiß auch, dass sie mich nur beschützen wollen. Ich hatte schon Angst in
den letzten Monaten, dass was passiert. Und jetzt ist es vielleicht zu spät,
das ist hart. Aber Opa hätte sich gewünscht, dass ich die Kurve kriege.“
Während er spricht, sieht Mesut den Pastoralreferenten kaum an. Er ist konzentriert
auf eine Kerze, die vor ihm steht und die er von der einen in die andere Hand
bewegt.
Jank unterstützt ihn in seinem Anliegen, vor Therapiebeginn
zumindest kurz im Krankenhaus vorbeifahren zu dürfen. Auch wenn Mesut das
Gefängnis jetzt verlässt, Jank hat weiter ein offenes Ohr für ihn. „Sie haben
meine Nummer“, sagt er nur lapidar. Für Mesut bedeutet es viel, in dem Seelsorger
einen Ansprechpartner zu haben: „Als Gefangener muss man bei den Beamten
aufpassen, über was man spricht, gerade in der Untersuchungshaft, da hat man
noch die Hoffnung, dass man rauskommt. Mit Herrn Jank als Vertrauensperson kann
man aber über alles reden. Es tut gut, auch über die Tat zu sprechen, weil man
sie so aufarbeitet.“
Nachdem Jank Mesut zurück in seine Zelle gebracht hat, macht
er sich auf den Weg zum nächsten Termin. Im Rahmen der sogenannten „Familienpflege“
hat der Seelsorger einem Häftling ermöglicht, Besuch zu empfangen. Der Häftling
ist Karim* (21), sein Onkel gerade aus der Türkei zu Besuch. Auf dem Weg zum
Besuchsraum bleibt Jank hier und da stehen, unterhält sich mit Vollzugsbeamten oder
Häftlingen, die gerade verschiedene Aufgaben erledigen. Essensausgabe zum
Beispiel oder den Flur putzen. Karim wartet bereits. Zusammen mit dem
Seelsorger betritt er einen Raum, der extra für solche Sonderbesuche vorgesehen
ist. Im normalen Besuchsraum steht ein langer Tisch, auf beiden Seiten mehrere
Stühle, getrennt durch eine Scheibe. Im Raum für Sonderbesuche ist das anders, er
ist freundlicher und persönlicher gestaltet, hier können zum Beispiel auch
Kinder empfangen werden. Häftling und Besuch sind hier durch nichts getrennt.
Karim ist eigentlich Muslim, daher wäre ein Imam für ihn zuständig. Den gibt es
in der JVA auch, allerdings hat er vorerst alle Termine abgesagt. Und eine
weitere „Schwierigkeit“ käme noch dazu: Wenn der Imam da ist, müssen auch ein Bediensteter
der Anstalt und ein vereidigter Dolmetscher präsent sein.
Während Karim sich mit seinem Onkel unterhält, spricht
Karims Vater mit Jank – über Karim, die Arbeit im Gefängnis, aber auch über die
Schwierigkeiten, die Karims Vater hat, eine Arbeit zu finden. Denn die
Seelsorge im Gefängnis beschränkt sich längst nicht auf die Inhaftierten. „Natürlich
muss ich auch für die draußen ein Ohr haben“, erklärt Jank. Und dabei kann es
auch schon mal zu ungewöhnlichen Aufgaben kommen. Ein Gefangener hat den
Pastoralreferent zum Beispiel gebeten, bei der Entbindung seines Kindes mit
seiner Frau in den Kreissaal zu gehen. „Das gehört für mich dazu. Vor allem
wenn die Frau da draußen alleine mit der Schwangerschaft steht, geht mich das
auch etwas als Seelsorger an. Und gerade die Frauen mit Kindern trifft die
Inhaftierung oft härter als die Männer hier drin.“
Nachdem er Karim wieder in seine Zelle gebracht hat,
erledigt Jank einige Dinge im Büro. Unter anderem muss er noch Dokumente für
eine anstehende Taufe vorbereiten. Solche Dinge freuen den Pastoralreferenten,
der Ende des Jahres in den Ruhestand geht.
„Wir hatten etliche Erwachsene, die sich nach einer langen
Sozialisation in Deutschland haben taufen lassen. Und die Taufen waren so das,
was mir am meisten Spaß gemacht hat.“ Dann arbeitet er noch einige andere
Anfragen von Inhaftierten ab. Wenn sie in Kontakt mit dem Seelsorger treten wollen,
müssen sie einen Antrag mit ihren Daten und dem Anliegen schreiben. Das sind
zum Beispiel der Wunsch nach einem Gespräch oder die Bewerbung als Reiniger für
den Kirchenraum. „Momentan habe ich mehr Anträge als ich abarbeiten kann. Weil hier
therapeutisch sehr viel fehlt, kommt das alles bei mir an.“
Einer dieser Anträge liest sich wie ein Rezept.
Hähnchenschenkel, Tomaten, Gurken und Pommes. Wieso das? „Zweimal im Monat
koche ich mit den Gefangenen nach ihren Wünschen, wobei ich die auf machbar und
essbar reduziere.“ Das gemeinsame Zubereiten und das Essen in Gemeinschaft am
Tisch seien wichtig für die Inhaftierten, die sonst nur alleine in ihren Zellen
äßen. Ein anderer Häftling hätte gerne einen Rosenkranz. Die verteilt Jank
manchmal. Den Wunsch kann er direkt erfüllen, dazu geht er zu den Erwachsenen,
die getrennt von den Jugendlichen in einem anderen Haftgebäude untergebracht sind.
In diesem befindet sich auch der Gottesdienstraum, der aber zurzeit nicht
genutzt werden kann. Auch hier macht sich der Personalmangel unter den Vollzugsbeamten
bemerkbar. „Um die Jugendlichen hier hoch und nachher wieder zurück zu bringen,
braucht man fünf Beamte zur Bewachung“, erklärt Jank. Das sei aber momentan
personell schwierig, deshalb findet der Gottesdienst im Freizeitraum im Gebäude
der Jugendlichen statt.
Auf dem Rückweg ins Büro tönt es aus einem der vergitterten Fenster
„Herr Jank!“ Der Seelsorger erkennt schnell, von wo der Ruf kommt. „Denken Sie
an meinen Gebetsteppich?“ „Aber klar.“ Jank kümmert sich eben um die Belange
aller Häftlinge.
Bevor er zum nächsten Termin geht, macht der 65-Jährige noch
einen Abstecher in die Schreinerei. Denn in der JVA können Häftlinge eine
Ausbildung machen. Neben der Schreinerlehre haben sie auch die Möglichkeit,
einen Beruf als Maler, Lackierer, Kfz-Servicemechaniker, Schlosser, Elektriker oder
im Bereich Heizung und Sanitär zu lernen. Die Jugendlichen in der Schreinerei
haben zusammen mit Uli Kuhn (41), dem Werkmeister, Fenster für Jank gerahmt.
Der Seelsorger hatte ein Kunstprojekt organisiert, in dem Häftlinge zusammen
mit dem Künstler Klaus Riefer die Fenster gestaltet haben.
Janks nächster Termin: Er ermöglicht Marco* (23) ein
Telefonat, weil das Anstaltstelefon kaputt ist. Marco möchte mit seiner Frau
und seiner Schwester telefonieren. In zwei Monaten kommt er aus dem Gefängnis
frei. Doch viele von denen, die Jank einmal in der JVA getroffen hat, sieht er dort
auch irgendwann wieder. Marco ist für diesen Tag jedenfalls Janks letzter Fall.
Als der Seelsorger ihn wieder in seine Zelle bringt meint er: „Das ist nach zehn
Jahren immer noch ein komischer Moment. Ich sperre die Leute ein und frage
mich, was ich da mache. Das hat ja mit dem, was wir verkündigen, nicht viel zu tun.
Ganz im Gegenteil. ‚Ich bin gekommen, den Gefangenen die Befreiung zu bringen.‘
Da hab ich meine Grenzen.“
Trotzdem hat Jank es nie bereut, dass er Gefängnisseelsorger
geworden ist. Für ihn war es am Ende seiner Berufslaufbahn nochmal eine Herausforderung.
Und mit manchem hadert er auch: Beispielsweise mit der Gottebenbildlichkeit des
Menschen. „Die auch in den Drogenverwirrten zu sehen ist schon manchmal
schwierig. Da fragt man im Gebet schon mal ‚Herr, was hast du dir da gedacht?‘“
Aber es ist eben seine Aufgabe, diese Menschen seelsorglich zu betreuen. Dabei
ist es für den Pastoralreferenten vor allem auch wichtig, nicht zuerst nach der
Tat zu fragen. Das gehöre für ihn zum seelsorglichen Handwerkszeug. „Ich achte den
Täter und verachte die Tat.“ Letzten Endes gebe es aber auch im Gefängnis viele
schöne Situationen und Begegnungen. Und in einem Punkt ist sich der Seelsorger sicher:
„Ich habe bisher auf keiner anderen Arbeitsstelle so viel gelacht wie hier.“