Das Karl-Marx-Gedenkjahr ist eröffnet. In Trier, wo der Philosoph
vor 200 Jahren, am 5. Mai 1818, zur Welt kam, gibt es ein umfangreiches
Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm, mit dem ein differenziertes Bild des
Denkers, seiner Zeit und seiner Wirkung gezeigt werden soll. Auch das Bistum
Trier ist an Bord.
Kurz vor dem 200. Geburtstag ihres wohl bedeutendsten Sohnes
muss die Stadt Trier schnell noch ein paar Straßenlöcher ausbessern. Erst recht
vor der Porta Nigra, dem römischen Stadttor, in deren Schatten eine große Marx-Ausstellung
zu sehen ist. Die große Reklametafel für die Schau im Blick, sagt Straßenbauer Markus
Schmitz: „Ich finde, Marx ist so aktuell wie noch nie, er ist zeitlos.“ Der 49-Jährige
ist im öffentlichen Dienst, fühlt sich ordentlich bezahlt. „Aber wenn man in die
Dritte Welt schaut, da gibt es keine Gewerkschaften, da werden die Arbeiter ausgebeutet.“
In der deutschen Privatwirtschaft sei es nicht viel besser: „Subunternehmen, Subunternehmen,
Subunternehmen. Was habe ich auf Großbaustellen: 400 Bulgaren, 300 Rumänen und einen
deutschen Polier!“ Solche Auswüchse des Turbokapitalismus habe Marx
angeprangert.
Wer in diesen Tagen durch die Straßen der ältesten deutschen
Stadt schlendert, wird erleben, dass das römische Erbe ausnahmsweise einmal nicht
im Mittelpunkt steht. Stattdessen diskutieren Besucher wie Einheimische über die
historische Bedeutung von Karl Marx. Weltweite Aufmerksamkeit, aber auch heftige
Kritik hat eine fünfeinhalb Meter hohe Bronzestatue von Marx hervorgerufen. Am 5.
Mai ist bei einem Festakt unweit der Porta Nigra das Geschenk der Volksrepublik
China enthüllt worden.
Der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe zeigt am 3. Mai vor
Journalisten Verständnis für die Kritik, dass das Reich der Mitte die Menschenrechte
unterdrücke. Doch er betont: „Es ist eine Geste der Freundschaft, dass China
uns diese Statue schenkt.“ Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer
sagt angesichts des Protests von Opferverbänden des Kommunismus, dass die Opfer
der SED-Herrschaft nicht vergessen würden. Doch man könne Marx „nicht die Gräueltaten
des 20. Jahrhunderts zuschreiben“. Rund 30 Jahre nach dem Ende des
Ost-West-Konflikts sei eine differenziertere Sicht auf ihn möglich.
Zu diesem unbefangeneren Blick auf den Kapitalismuskritiker sollen
mehrere Trierer Ausstellungen anregen.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung als Trägerin des Museums
Karl-Marx-Haus hat die dortige Dauerausstellung vollständig überarbeitet. Sie heißt
„Von Trier in die Welt: Karl Marx, seine Ideen und ihre Wirkung bis heute“. Im authentischen
Ambiente seines Geburtshauses wird Marx als von den Umbrüchen des 19. Jahrhunderts
geprägter Mensch gezeigt, als Analytiker und Kritiker der kapitalistischen Gesellschaftsordnung,
als Vordenker der Sozialdemokratie und nicht zuletzt als politischer Aktivist,
der die Welt umgestalten möchte. Zu den Ausstellungshighlights gehört der Lesesessel,
in dem Marx an seinen Manuskripten gearbeitet hat und nach der Familienüberlieferung
auch gestorben sein soll.
„Wir zeigen Marx als Journalist, als Philosoph, als Geisteswissenschaftler
und als Ökonom“, erläutert Kuratorin Dr. Ann-Katrin Thomm vom Karl-Marx-Haus bei
der Vorab-Führung, die die Ausstellungsmacher am 3. Mai für die über 100 angereisten
Journalisten aus aller Welt anbieten. Und Thomm erinnert daran, dass Marx „ein Unvollendeter“
blieb; den zweiten und dritten Band des „Kapitals“ habe schließlich Friedrich Engels
und nicht Marx abgeschlossen.
Vom 5. Mai bis zum
21. Oktober läuft die rheinland-pfälzische Landesausstellung „Karl Marx 1818–1883.
Leben. Werk. Zeit.“ Sie zeigt an zwei Standorten mehr als 400 Exponate aus ganz
Europa, darunter Originaldokumente wie das einzige erhaltene Manuskript von „Das
Kapital“, Ausgaben des Hauptwerks von Marx mit persönlichen Notizen des Autors sowie
Werke von Munch, Manet und Courbet.
Viele Menschen hätten ein bestimmtes Marx-Bild
im Kopf, sagt die wissenschaftliche Leiterin der Ausstellung, Dr. Beatrix Bouvier:
„Ganz vage wird häufig nur Marx und Kommunismus miteinander verbunden.“ Die Forschung
habe aber längst neue Facetten von Marx herausgearbeitet. Die Schau wolle keine
vorgefertigten Antworten liefern, sondern zum Nachdenken anregen. Auf der Grundlage
aktueller Forschung wolle die Ausstellung einen unverstellten, von späterer
Dogmatisierung befreiten Blick auf das Leben und Werk von Marx und seine Zeit
ermöglichen.