Die Debatte um die Anti-Corona-Maßnahmen wird lauter. In Deutschland gab es trotz der jüngsten Lockerungen Proteste gegen die Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens. In der Kirche sorgte ein Aufruf konservativer Kreise für Aufregung.
Die zunehmenden Demonstrationen gegen Corona-Auflagen, bei denen auch Verschwörungstheorien die Runde machen, haben in den zuständigen Behörden und in der Politik Sorge ausgelöst. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sprach von einem bedrohlichen Potenzial, wie die „Tagesschau“ am 11. Mai berichtete. Die Wahrscheinlichkeit, „dass das zu einem wirklich ernsthaften Problem werden kann“, steige mit der Abnahme der Akzeptanz der Maßnahmen einerseits und der Gefahr wirtschaftlicher Probleme für viele Bundesbürger andererseits. In zahlreichen deutschen Städten hatte es am 9. Mai Demonstrationen gegeben die Corona-Beschränkungen gegeben.
Besorgt äußerte sich Münch über Versuche von Extremisten, die Demonstrationen zu instrumentalisieren. Vor allem aus dem rechten Lager gebe es Versuche, bürgerliche Proteste zu kapern, sagte er. Das Thema Corona sei sowohl von Verschwörungstheoretikern sowie von linken und rechten Extremisten dankend aufgenommen worden. Ähnlich besorgt äußerten sich Politiker der Regierungsfraktionen, aber auch von Grünen und Linken.
Auch in der katholischen Kirche sorgt das Virus für neuen Streit. Die Deutsche Bischofskonferenz ging am 9. Mai auf Distanz zu einer Gruppe um Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Erzbischof Carlo Maria Vigano und Kardinal Joseph Zen Ze-kiun. Diese hatten eine Warnung veröffentlicht, wonach die Corona-Pandemie genutzt werden solle, um eine „Weltregierung“ zu schaffen, „die sich jeder Kontrolle entzieht“.
Man kommentiere „grundsätzlich“ keine Aufrufe einzelner Bischöfe außerhalb Deutschlands“ sagte der Konferenz-Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): „Allerdings füge ich hinzu, dass sich die Bewertung der Corona-Pandemie durch die Deutsche Bischofskonferenz grundlegend von dem gestern veröffentlichten Aufruf unterscheidet.“
In dem Aufruf kritisieren die Unterzeichner, die Pandemie werde als Vorwand genutzt, um „Grundfreiheiten unverhältnismäßig und ungerechtfertigt“ einzuschränken, einschließlich des Rechts auf Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung und Freizügigkeit. Die Schutzmaßnahmen dienten der „Kriminalisierung persönlicher und sozialer Beziehungen“. Der Kampf gegen Corona dürfe nicht „als Vorwand zur Unterstützung unklarer Absichten supranationaler Einheiten dienen, die sehr starke politische und wirtschaftliche Interessen verfolgen“.
Die deutschen Bischöfe hatten zur Corona-Pandemie unter anderem erklärt, dass die Einschränkungen – auch bei den Gottesdiensten – „vernünftig und verantwortungsvoll“ gewesen seien und zugleich betont, man müsse die Beschränkungen auch „mit Verantwortung und Augenmaß“ wieder lockern. Der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, erklärte angesichts des Aufrufs der Gruppe um Müller und Vigano, er sei „einfach nur fassungslos, was da im Namen von Kirche und Christentum verbreitet wird: Krude Verschwörungstheorien ohne Fakten und Belege, verbunden mit einer rechtspopulistischen Kampf-Rhetorik, die beängstigend klingt.“
Der Präsident der Europäischen Bischofskommission, Kardinal Jean-Claude Hollerich, mahnte angesichts der Coronakrise zu mehr Solidarität unter den EU-Mitgliedern und zur Hilfe für Arme und Flüchtlinge. „Es ist Zeit, jetzt in der Pandemie zusammenzuarbeiten, Solidarität zu zeigen, für alte Menschen in Not da zu sein, Grenzen wieder zu öffnen“, sagte Hollerich in einer am 9. Mai anlässlich des Europatags veröffentlichten Videobotschaft.
Neben den gesundheitlichen Auswirkungen des Coronavirus müssten die Verantwortlichen auch die wirtschaftlichen Konsequenzen der Krise im Blick behalten, betonte der Erzbischof von Luxemburg. Wenn Europa seinen Idealen treu bleiben wolle, könne es niemals die Armen, Bedürftigen und Flüchtlinge vergessen. Der Europatag erinnert an den sogenannten Schuman-Plan, den der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 verkündete. Kernanliegen war, die rüstungswichtige französische und deutsche Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Behörde zu unterstellen, die auch anderen Staaten offenstehen solle. Das Datum wurde zur Geburtsstunde der europäischen Einigung.