Schwester Anita Thomas mit einer Patientin auf der Intensivstation des Neuerburger Krankenhauses St. Josef. Foto: Tobias Wilhelm

Das tägliche Gebet gibt mir Kraft

Der Weltmissionssonntag am 24. Oktober ist dieses Jahr dem Wirken indischer Ordensfrauen gewidmet. Die sind auch in unserem Bistum aktiv – etwa Anita Thomas, die als Krankenschwester in Neuerburg arbeitet und Mutter Teresa persönlich begegnet ist.

Von Tobias Wilhelm

„Als ich 1973 nach Deutschland kam, lag hoher Schnee – das war ganz neu für mich“, erzählt die 60-Jährige aus dem südwest­indischen Kerala, die von ihrer Heimat tropische Bedingungen gewohnt war. In Mönchengladbach, wo sie die Krankenpflegeschule besuchen sollte, war es dagegen kalt – und die sprachlichen Probleme machten ihr anfangs noch viel mehr zu schaffen als die klimatischen. „Ich sprach ja noch kein Wort Deutsch, und von den Mitschwestern konnte keine Englisch – das war schon ziemlich schlimm für mich“, erinnert sich Anita Thomas, die die Sprache ihres Gastlands längst nahezu perfekt beherrscht.

In Neuerburg in der Westeifel, wo sie seit 2006 als Krankenschwester auf der Intensivstation der St.-Josef-Klinik arbeitet, ist es denn auch mehr ihre Optik, die etwas aus dem Rahmen fällt: ein dunkler Teint, der mit einem blütenweißen Habit kontrastiert – und grauschwarze Haare, die unter dem Schleier hervorlugen und ein meist freundlich lächelndes, von ovalen Brillengläsern geziertes Gesicht einrahmen.

20 Niederlassungen indischer Orden im Bistum Trier

Die Ordensfrau ist eine von rund 110 Schwestern verschiedener indischer Kongregationen, die im Bistum Trier mit 20 Niederlassungen vertreten sind. Anita Thomas vom Orden der Anbetungsschwestern (Adoration Convent), der sein Mutterhaus in Kerala hat, fungiert in Neuerburg als Oberin eines Mini-Konvents, den sie zusammen mit einer 40-jährigen Mitschwester bildet. Im Krankenhaus, das zur Waldbreitbacher Marienhaus GmbH gehört, ist die ausgebildete Fachkraft für Anästhesie und Intensivmedizin auf der so genannten „Weaning“-Abteilung tätig. Diese beherbergt im Schnitt rund zehn Patientinnen und Patienten aus der weiteren Umgebung, die nach einer Langzeitbeatmung in der Folge von Unfällen oder Herzoperationen ganz langsam von den Maschinen entwöhnt werden und wieder selbständig zu atmen lernen.

Dafür braucht es eine komplexe Technologie, die erkennt, wie gut sich die Lungen der Betroffenen schon erholt haben und wieviel künstliche Hilfestellung – die naturgemäß immer weniger wird –sie noch benötigen. Neben der Bedienung der ausgeklügelten Apparaturen verrichtet Schwester Anita vor allem Tätigkeiten des krankenpflegerischen Alltags – denn viele Patienten, die oft monatelang in der Klinik bleiben müssen, können ihr Bett nicht verlassen.

„Einmal hat sich ein Mann partout geweigert, von mir die Bettpfanne gebracht zu bekommen“, erzählt die Inderin. Nicht etwa aus Ausländerfeindlichkeit, sondern vielmehr aus Scham und übergroßem Respekt vor dem Habit. Doch die meisten seien froh über den Anblick einer Nonne, der auch in der katholisch geprägten Westeifel immer seltener wird. „Habe ich etwa die Ehre, von einer echten Ordensschwester gepflegt zu werden?“, habe ein Patient mal dankbar gefragt.

Und vielen anderen stehe die Freude über die Begegnung mit Anita Thomas einfach ins Gesicht geschrieben, beschreibt Ergotherapeut Axel Wild: „Die Menschen fühlen sich bei ihr geborgen und haben Respekt davor, dass sie ihr Leben ganz in den Dienst für andere stellt. Schwester Anita ist eine Bereicherung für uns und besonders gut darin, sich sehr einfühlsam um Sterbende und deren Angehörige zu kümmern. Und vor allem ist sie ein sympathischer, offener Mensch, der ganz im Team aufgeht – wir mögen sie alle sehr.“

Und was mag die Frau aus Asien an Neuerburg? „Es geht sehr familiär zu, man kennt sich, alles ist eingespielt. Und ich mag die Ruhe, das Flüsschen Enz, die grüne Umgebung“, sagt Schwester Anita, die im Laufe der Jahrzehnte nicht nur in Deutschland viel rumgekommen ist. Nach ihrer Zeit in Mönchengladbach, wo sie die Krankenpflege sowie die Sprache lernte, arbeitet sie 1980/81 in der Frauenabteilung der Uniklinik Tübingen, ehe sie für drei Jahre nach Lörrach ans Krankenhaus St. Elisabethen kommt – just an die Klinik, in der unlängst ein schrecklicher Amoklauf stattfand. Anschließend geht es wieder ins Bistum Trier, wo sie von 1985 bis 1993 in Adenau als Anästhesieschwester tätig ist.

Dann der Bruch: Sie wird für fünf Jahre ins Mutterhaus nach Kerala zurückgerufen, wo sie sich verstärkt dem Gebet und später wieder der Arbeit im Krankenhaus zuwendet. Anschließend schickt ihr indischer Orden, der heute 5000 Angehörige auf fünf Kontinenten zählt, sie in die Afrika-Mission.

„Mein Herz hat sich für Afrika entschieden“

Gemeinsam mit einer weiteren Krankenschwester kümmert sie sich im Großraum Nairobi um die medizinische Versorgung von über hundert HIV-infizierten Waisenkindern. „Am Anfang starben im Monat durchschnittlich drei Kinder – heute, dank besserer Aids-Therapien, ist es vielleicht noch ein Kind im Jahr“, berichtet Anita Thomas. Obwohl sie seit 2006 wieder in Deutschland arbeitet – ein Teil von ihr ist in Kenia geblieben: „Es gibt dort so viel Not, so viele kranke Kinder. Sie sind unschuldig und brauchen uns!“

Mit 60 hat sie als Krankenschwester eigentlich schon das ordensinterne Rentenalter erreicht. So lange sie fit ist, will sie aber noch arbeiten – zunächst noch in Neuerburg, mittelfristig aber am liebsten wieder auf dem Schwarzen Kontinent: „Mein Herz hat sich für Afrika entschieden“, erklärt die Ordensfrau.

Indien, Kenia, Deutschland – drei Länder, drei Kulturen. Auf die Frage nach den Unterschieden erklärt Schwester Anita, dass die Menschen in den ärmeren Ländern oft zufriedener wirkten, obschon es ihnen materiell meist schlechter gehe. Dass die Freude am Glauben stärker zu spüren sei, während die Menschen hier eher verschlossener scheinen – auch in spirituellen Dingen.

Anders als in Deutschland werde die Pflege der Patienten in Indien und Afrika meist von Angehörigen (so vorhanden) übernommen, während sich die Krankenschwestern mehr auf das Medizinische konzentrieren könnten. Und man höre und staune: Weil der Berufsschwerpunkt hierzulande zu sehr auf der Pflege liegt, werde die deutsche Ausbildung in Indien nicht als gleichwertig anerkannt. „Aber ich pflege auch sehr gern – es ist schön, in dankbare Gesichter zu blicken“, betont die Ordensfrau.

Zufallsbegegung mit Mutter Teresa hinterließ Spuren

Anderen Menschen helfen – das wollte die Frau aus Kerala, wo der christliche Glaube seit Jahrhunderten verbreitet ist, immer schon. Doch es ist die Kombination aus sozialem Einsatz und regelmäßiger Eucharistischer Anbetung, die sie an ihrem Orden so schätzt: Man könne zwar auch bei der Arbeit beten – aber das reiche ihr nicht: „Das Bedürfnis, mich intensiv dem Gebet zu widmen, ist bei mir sehr stark.“ Beim „Adoration Convent“ wechseln sich kontemplative und apostolische Einsatzphasen ab, darüber hinaus ist jede Schwester weltweit stundenweise in die Ewige Anbetung eingebunden.

Anita Thomas, die von klein auf eine Schule der Kongregation besuchte und drei weitere leibliche Schwestern hat, die sich für ein Leben im Orden entschieden, wusste schon mit 17: „Das ist mein Weg!“ Beeinflusst wurde dieser auch von einer prägenden Begegnung mit einem großem Vorbild im Glauben: Durch Zufall (oder Vorsehung?) erfüllte sich vor rund 15 Jahren trotz widriger Umstände ihr großer Wunsch, Mutter Teresa persönlich zu treffen. „Es war, als wäre einem Christus in ihr begegnet – vermutlich, weil sie ihm so eng verbunden war. Ich habe gelernt, dass sie jeden Tag eine Stunde kniend vor dem Tabernakel betete – dadurch wächst eine tiefe persönliche Beziehung zu Gott, die auch mir viel Kraft gibt für die Aufgaben des Alltags.“

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Info

Zum Sonntag der Weltmission findet am 24. Oktober ab 10 Uhr im Trierer Dom ein von indischen Ordensleuten vorbereiteter feierlicher Gottesdienst statt, an den sich ein Fest der Begegnung in der Promotionsaula des Bischöflichen Priesterseminars (Jesuitenstraße 13) anschließt.

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