„Es kommt vor, dass ich in Eile bin und mich in einem Wettlauf mit der Zeit befinde“, oder: „Ich verbringe mehr Zeit mit der Arbeit als mit Freunden, Hobbys oder Freizeitaktivitäten“ – bei wem diese Aussagen voll und ganz zutreffen, der- oder diejenige neigt offenbar zu exzessiver Arbeit.
Wer in der Befragung zur Studie „Suchthaftes Arbeiten und Gesundheit“ weiteren Aussagen voll und ganz zustimmte, arbeitet womöglich zwang- oder gar suchthaft. Etwa: „Ich fühle mich verpflichtet, hart zu arbeiten, auch wenn es keinen Spaß bringt“, sowie: „Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir frei nehme“. Die Studie wurde von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf veröffentlicht und enthält Befunde für einzelne Betroffene, Betriebe und die Gesellschaft.
Dass besonders Führungskräfte und Selbstständige laut den Ergebnissen suchthaft arbeiten, liegt Forschungsautorin Beatrice van Berk zufolge auf der Hand. Dass allerdings jede und jeder Zehnte unter den Berufstätigen in Deutschland dazu neigt, zeigt, dass es sich um kein Randphänomen handelt.
Das Thema war zuvor nicht so stark in der gesellschaftlichen Debatte wie heute.
Beatrice van Berk
„Im öffentlichen Diskurs war das für viele überraschend. Das Thema war zuvor nicht so stark in der gesellschaftlichen Debatte wie heute“, so van Berk. Das zeige die mediale Resonanz. Für die Wissenschaftlerin ist das Ergebnis allerdings wenig überraschend. Bereits vor zehn Jahren sei eine andere Publikation zu diesem Ergebnis gekommen. Überrascht habe die Forschenden vielmehr der starke Unterschied in der Zahl an psychosomatischen Belastungen, die bei suchthaft Arbeitenden auftreten – im Gegensatz zu gelassen Arbeitenden.
Dazu zählen etwa körperliche und emotionale Erschöpfung, Schlafstörungen, Nervosität und Reizbarkeit sowie Verdauungsbeschwerden. 54 Prozent der suchthaft Arbeitenden gaben an, von vier oder mehr dieser Beschwerden betroffen zu sein. Bei den gelassen Arbeitenden waren es nur 25 Prozent. Fazit: Suchthaftes Arbeiten macht krank. Betroffen sind Männer wie Frauen, über die unterschiedlichsten Berufsgruppen und Bildungsniveaus hinweg.
Auf der Suche nach der Grenze
Doch ab wann kann man überhaupt von einer Arbeitsweise sprechen, die gesundheitsgefährdend ist? Wo verläuft die Grenze? Und inwiefern hängt eine ungesunde Arbeitsweise mit arbeitsplatzbezogenen Faktoren zusammen?
Im Kern bedeutet suchthaftes Arbeiten aus Sicht der Forschenden exzessive Arbeitszeiten in Kombination mit Schwierigkeiten, sich von der Arbeit zu lösen, sowie ein unflexibler und zwanghafter Arbeitsstil.
Der amerikanische Psychologe Wayne E. Oates prägte den Begriff Workaholic in den 1970er-Jahren und meinte ein unkontrollierbares Bedürfnis nach Arbeit, vergleichbar mit Suchtkrankheiten wie dem Alkoholismus. Da im Sprachgebrauch der Begriff heute aber auch positiv verwendet werde, habe das Forschungsteam sich bewusst davon abgegrenzt: „Eine Sucht kann gar nicht positiv sein, darunter versteht man schließlich eine unfreiwillige Abhängigkeit“, so van Berk. Und diese gehe langfristig mit negativen Konsequenzen für den Menschen und sein soziales Umfeld einher.
Die Wissenschaft ist daher mittlerweile abgerückt von der Annahme, es gebe auch glückliche, enthusiastische Subtypen suchthaften Arbeitens. Es gibt der Wissenschaftlerin zufolge jedoch Personen mit hohem Engagement, die durch ihre Arbeit Freude verspüren und inspiriert seien. Der Unterschied seien der Spaß, das Loslassen und Entspannen-Können.
Betriebsrat als wichtiges Instrument
Was viele Studien bereits zeigten: Es gibt einen Zusammenhang zwischen zu Perfektionismus neigenden Persönlichkeiten und einem suchthaften Arbeitsstil. „Aber uns ist wichtig hervorzuheben, dass die Ursachen nicht nur bei der Person liegen“, so van Berk. Sie bemängelt, dass Verantwortung oft zu stark im Individuum gesehen werde – im wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskurs. Die Aussage etwa, dass eine Person im Wettlauf mit der Zeit sei, könne auch an sehr eng gesetzten Projektfristen liegen oder an Personalmangel. „Die Ursachen für suchthaftes Arbeiten liegen definitiv auch auf betrieblicher Seite.“
Die Studienergebnisse geben van Berk recht: In Einrichtungen mit Betriebsrat zum Beispiel arbeiten laut Umfrage lediglich 8,7 Prozent der Beschäftigten suchthaft; in Betrieben ohne Betriebsrat sind es 11,9 Prozent. Neben Gesundheitsvorsorge sei deshalb die Mitbestimmung der Beschäftigten ein „wichtiges Instrument der betrieblichen Regulierung, welches exzessivem und zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken kann“.