Pflegearbeit :Pflegende brauchen Auszeiten
Wer sind die einsamsten Menschen, unabhängig von Status oder Einkommen? Pflegende Angehörige, sagte Brigitte Bührlen vom Vorstand „Wir! Stiftung pflegender Angehöriger“ (www.wir-stiftung.org) kürzlich bei einer Pressekonferenz zum Thema Einsamkeit. Warum? Sie leisten den größten Teil der Pflege in Deutschland – unentgeltlich, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr, heißt es auf der Internetseite der Stiftung. In der Regel sind es: Frauen.
„Angehörige sollten sich bewusst und ganzheitlich um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern, da es sonst zu Erschöpfung oder schweren Folgen kommen kann“, sagt Katrin Beckmann, examinierte Altenpflegerin und ganzheitliche Demenz- und Gesundheitscoachin. Sie hat den nach eigenen Angaben ersten Demenz-Ratgeber verfasst, der das Wohlbefinden pflegender Angehöriger in den Mittelpunkt stellt. An sich selbst zu denken, sei nicht egoistisch, meint Beckmann, sondern überaus wichtig, um die herausfordernde Aufgabe der Pflege zu meistern. „Deine Bedürfnisse sind genau so essenziell wie die deines Angehörigen“, wendet sie sich an ihre Leserinnen und Leser.
Pflege ist wie Bergsteigen
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es rund fünf Millionen Pflegebedürftige in Deutschland. Davon werden rund vier von fünf Pflegebedürftigen zu Hause versorgt (www.deutsche-alzheimer.de). Meist erfolge die Pflege durch pflegende Angehörige, so die Behörde.
Was kann mal also tun, um diese herausfordernde Situation zu bewältigen? Beckmann vergleicht das mit der Erstbesteigung eines Achttausenders. Sie rät dazu, sich gut vorzubereiten und vorzusorgen. Zuerst möge man sich aber prüfen, ob man sich dieser Situation gewachsen fühle – und man solle dabei ehrlich sein.
Wie sieht es aus mit der Barrierefreiheit?
Eine weitere entscheidende Frage: Wie sieht es aus mit der Barrierefreiheit? Sie sei unverzichtbar, wenn man sich entscheidet, demenzkranke Angehörige zuhause zu pflegen, so die Coachin.
Sie empfiehlt pflegenden Angehörigen, sich von Anfang an um Auszeiten zu bemühen, sich ausgewogen zu ernähren und für Bewegung an der frischen Luft zu sorgen oder sich einen persönlichen Rückzugsort zu Hause als Kraftquelle zu schaffen. Wichtig seien auch soziale Kontakte. „Halte deine Familie und Freunde nicht aus deinem Leben fern, im Gegenteil, lass sie teilhaben, binde sie ein, wenn sie für dich da sein möchten“, rät Beckmann. In Angehörigengruppen könne man Menschen in einer ähnlichen Situation treffen, die einen verstehen und die eventuell mit wertvollen Erfahrungen weiterhelfen können.
Gehe offen mit der Situation um und nimm Hilfe an, empfiehlt die Coachin, denn: „Offenheit ist der Türöffner für Verständnis und Unterstützung, die jeder in deiner Situation benötigt.“ Ebenso wichtig: sich frühzeitig beraten zu lassen. Sie empfiehlt pflegenden Angehörigen dringend, alle Möglichkeiten zu nutzen, die den Alltag erleichtern – und außerdem die finanziellen Hilfen in Anspruch zu nehmen, die einem zustehen.
Achtsamkeit nicht vergessen
Die Pflege eines an Demenz erkrankten Angehörigen kann den Pflegenden körperlich und seelisch an die Grenzen bringen. Daher hat Beckmann verschiedene Achtsamkeitsübungen zusammengestellt, die helfen sollen, im Gleichgewicht zu bleiben.
Dazu gehören Atemübungen als Teil einer Achtsamkeitsmeditation. „Die regelmäßige Anwendung kann ein wahrer Segen für dich sein, um in herausfordernden Situationen gelassen zu bleiben und inneren und äußeren Stress zu reduzieren – und das schon mit ein Paar Minuten am Tag“, so die Erfahrungen der Coachin. Zu den Achtsamkeitsübungen gehört auch, nach ihrer Ansicht negative Sätze wie „Ich kann das nicht“ durch einen Kraftimpuls wie „Ich kann alles lernen, wenn ich mir genügend Zeit einräume“ zu ersetzen.
Sie legt ihren Lesern und Leserinnen weiterhin ans Herz, einen neuen Fokus zu setzen. Dabei helfen kann, zu notieren, welche Situationen Stress erzeugen, welche Handlungen zu Konflikten führen und wo die eigene Geduld besonders herausgefordert wird. Nein sagen zu lernen sei wichtig, um Grenzen zu setzen.
Für die Demenzcoachin sind die pflegenden Angehörigen „die wahren Helden des Alltags“. Sie verdienten Anerkennung und Unterstützung. Aber: Nur wenn sie selbst gesund und ausgeglichen blieben, könnten sie ihre Angehörigen gut unterstützen. Achtsamkeitsübungen sind demzufolge also weder Luxus noch Zeitverschwendung, sondern überlebenswichtig.