Ein Handwerker und ein Bettler werden zum Tanz aufgefordert.

Der Totentanz von Bern: Der Tod packt einen Mönch am Bart.

Aquarellkopien von Niklaus Manuell 1773

Schauder und Faszination des mittelalterlichen Totentanzes

Der letzte Reigen

VON GABRIELE BURCHARDT UND ERIKA REBMANN (KNA-BILD)

Basel um das Jahr 1500: Wenn der Bauer in die Stadt, der Handwerker zu seinem Meister, der Pfarrer zum Kranken, die Magd zum Markt oder die adelige Dame ausfahren wollten, führte der Weg an einer Friedhofsmauer vorbei. Wie auf einem lebensgroßen Bilderbogen ist dort in bunten Farben aufgemalt und unschwer alles zu erkennen, was Rang und Namen hat: der Papst mit Papstkrone und Hirtenstab, der Kaiser und die Kaiserin, der Kardinal, der König, der Bischof, der Herzog und die Herzogin, der Abt, der Ritter, die Äbtissin, der Schultheiß. Dann der Wucherer, ein Narr, der Jüngling, ein Blinder, zum Schluß ein Kind. Ein Totengerippe faßt jeden von ihnen an die Hand. Er grinst und vollführt ausgelassene Tanzschritte. Allen voran musiziert der Tod. Wer hier vorüberging, dem wurde bewußt: Am Tod kommt niemand vorbei.

Wann der Tod in der mittelalterlichen Kunst anfing zu tanzen, ist nicht mehr festzustellen. Zahllose Totentanz-Bilder, vor allem, wenn sie auf Außenmauern von Friedhöfen und Kirchen gemalt waren, sind unwiederbringlich verloren, von manchen blieben Zeichnungen erhalten. Für das Motiv des Totentanzes spielte möglicherweise der alte Volksglaube, nachts würden die Seelen der Toten auf den Friedhöfen tanzen, eine Rolle. Verbreitet war in der christlichen Welt die aus der Antike übernommene Vorstellung des Totengeleits, zu dem auch schon Musik gehörte. Sie ist ein wichtiges Element der klassischen Totentänze, die vom Tod als Spielmann angeführt werden. Er wirbt um die Lebenden und verführt sie zum Tanz mit den Toten. Auf manchen Totentanz-Bildern spielen alle Totengestalten ein anderes Instrument – und tanzen noch dazu.

Daß auch zum Lebensende die Musik aufspielt, nahm dem Tod den größten Schrecken, wie überhaupt nach Meinung der Kunsthistoriker im Mittelalter der Tod im Bewußtsein der Menschen so normal war, daß man sich sogar über ihn lustig machen konnte. Doch es bleibt ein grausiger Spaß. Bei diesem Tanzvergnügen amüsiert sich stets nur einer. Der Tod gibt den Ton an, er schreitet zum höflichen Paartanz, wirft keck die fleischlosen Beine und holt sich den Nächsten im Reigen.

Den Totenschädel auf dem Gerippe aus Haut und Knochen schmückt hier ein roter Kardinalshut, dort ein Jungfernkranz, eine Narrenkappe, ein Nonnenschleier. Groteskes Beiwerk, das übrigbleibt, wenn dieser Tanz vorbei ist. Der hat in strenger Rangfolge immer die gleiche Besetzung: von Papst und Kaiser über die ganze feine Gesellschaft des Mittelalters bis zum Bauern und Bettler. In der Begegnung mit dem großen Gleichmacher haben sie eines gemein: Ihnen ist nicht nach Tanzen. Viele heben abwehrend die Hand. Da muß beim Lübecker Totentanz der Tod den sträubigen Papst am Mantel zerren, dem König geht es sogar an den Kragen. Da hilft es nichts, wenn im weltberühmten Baseler Totentanz der Wucherer dem Tod ein Bestechungsgeld überreicht – der bleibt ungerührt auch von dem Blinden, dem er erst den Stock nimmt und ihm dann die Hundeleine kappt.

„Heran ihr Sterblichen / ...umsonst ist alles Klagen / Ihr müsset einen Tanz / nach meiner Pfeife wagen“, lockt der Tod, das Stundenglas in der knöchernen Hand auf dem Lübecker Totentanz. Die Dialog-Verse, die viele Totentanz-Bilder begleiten, sind überdeutlich, manchmal derb. So zeigt sich der Papst, zum letzten Tanz aufgefordert, empört: „Wie, scheut der Tod den Blitz / von meinem Banne nicht?“ Der Tod, einen leeren Sarg geschultert: „Komm, alter Vater, komm / ... kreuch aus dem Vatican / in diesen Sarg hinein / Hier trägt dein Scheitel nicht / das Gold von dreyen Kran / der Hut ist viel zu hoch / du mußt itzt enger wohnen.“ Dem Kardinal begegnet der Tod gar gesellschaftskritisch: „Ich weiß nicht was du dort / wirst für ein Theil erlangen / das weiß ich, Sohn / du hast viel Gutes hier empfangen.“

Erst am Ausgang des Mittelalters werden die Totengestalten im „makabren Tanz“, wie der Totentanz in Frankreich heißt, zum Tod schlechthin – dargestellt nun als Knochenmann, als lautloses Skelett, das keine individuellen Züge mehr trägt. Die Plötzlichkeit eines gnadenlosen Todes, nicht seine Normalität werden dargestellt und das Klagen der Stände, die ihren Abschied aus diesem Leben bejammern.

Erst spät auch bedienten sich Mönche und Kanzelredner der Totentanz-Bilder. Unter dem Eindruck der Pestepidemien stellte die Geistlichkeit den Schwarzen Tod in den Dienst aufrüttelnder Bußpredigten. „Memento mori – gedenke des Todes“, warnten sie und empfahlen die Verachtung der vergänglichen Welt um des Himmelreiches willen.

Lebendiger als in den Totentänzen ist der Tod nie dargestellt worden. Seit zwölf Jahren gibt es eine Internationale Totentanzvereinigung, die nicht etwa okkulte Umtriebe fördert, sondern Bildmotive des mittelalterlichen Totentanzes und seine Bedeutung erforscht. In einer Zeit, die den Tod am liebsten verdrängt, trägt sie dazu bei, die ars moriendi, die Kunst des Sterbens, ins Gedächtnis und unter die Leute zu bringen. Gründungsmitglied Karl Josef Steininger hat eine interessante Erfahrung gemacht: „Leute, die sich intensiv mit dem Tod beschäftigen, sind heitere Menschen.“ Beim letzten internationalen Totentanzkongreß in diesem Herbst in Kassel wurde ein köstliches Schweizer Gebäck angeboten: „Totenbeinli“ – mit Rezept.